Zeit hat geschrieben:"Patagonia ist jetzt Pionier einer neuen Form des Kapitalismus"
Der Outdoorhersteller verschenkt nicht bloß sein Vermögen. Die Marke soll Profit machen – nur für einen höheren Zweck. Ein Vordenker für das Modell erklärt, wie es geht.
Wie können Unternehmen sinnorientiert arbeiten? Zum Beispiel, indem man ihnen eine neue Rechtsform zur Verfügung stellt, sagt Armin Steuernagel. Eine, in der sich ein solches Unternehmensverständnis einfacher und langfristig umsetzen lässt. Der Mitbegründer des internationalen Netzwerks Purpose und Vorstand der deutschen Stiftung Verantwortungseigentum hat auch in den USA Vorarbeit für Patagonias Entscheidung geleistet.
ZEIT ONLINE: Herr Steuernagel, der Gründer der Outdoormarke Patagonia hat sein Unternehmen gemeinnützig verschenkt. Die Gewinne erhält die Umweltorganisation Holdfast Collective, die Kontrolle liegt bei einem Purpose Trust. Ist Patagonia jetzt eine wohltätige Organisation? Oder ist es am Ende ein genialer Steuertrick?
Armin Steuernagel: Genau das wird jetzt in den USA diskutiert: Ist es vielleicht ein super effizientes Steuersparmodell, bei dem die Familie Chouinard am Schluss doch noch die Kontrolle behält? Aber ein Steuersparmodell würde bedeuten, dass ich mein Vermögen erhalte. Der Patagonia-Gründer hat dagegen ein Modell gewählt, in dem er sein komplettes Vermögen los wird und keinen Zugriff mehr darauf hat. Er hat es von den Kontrollrechten abgespalten. Die Steuerbehörden werden penibel darauf achten, dass er sich nicht doch verdeckte Gewinnausschüttungen in Form von Gehältern, Dienstwagen etc. zukommen lässt. Also nein, ein Steuersparmodell ist es definitiv nicht.
Nur die Frage, in welchem Ausmaß die Familie noch Kontrolle behält, ist nicht komplett beantwortet. Die Satzung des Trusts, der die Stimmrechte hält, ist nicht öffentlich. Was Patagonia kommuniziert: Familienmitglieder sitzen weiter im Trust. Aber nicht, ob die Position des Trustees, also des Treuhänders, vererbbar ist.
ZEIT ONLINE: Und ist es damit das Gegenteil – eine Spendensammelmaschine für Umweltorganisationen?
Steuernagel: Nein. Es ist einfach falsch zu sagen, der Gründer habe sein Unternehmen an NGOs gespendet. Patagonia bleibt ein for-profit business, das steht auch eindeutig auf der Website. Der Unterschied zu anderen Unternehmen ist erstens, dass die Gewinne gespendet werden. Also das Geld, das nach allen nötigen Investitionen übrig bleibt. Und zweitens macht man nicht Gewinne auf Teufel komm raus. Chouinard hat explizit gesagt, dass er eine Unternehmensform will, die dafür sorgt, dass das Unternehmen "on purpose" bleiben kann. Es soll einem übergeordneten Zweck dienen. Dafür muss es investieren und die Werte des Unternehmens bewahren können.
ZEIT ONLINE: Er hätte das Unternehmen aber auch verkaufen und das Geld einfach direkt spenden können. Immerhin wird der Wert von Patagonia auf drei Milliarden Euro geschätzt. Kann ein profitables Unternehmen mehr für den Klimaschutz erreichen?
Steuernagel: Klar, er hätte auch den Verkaufserlös oder einen Teil der Aktien einer Stiftung schenken können, wie Thyssenkrupp es getan hat, oder Bill Gates. Das hat Chouinard natürlich analysiert. Er sagt aber: Ich will nicht der größte Philanthrop werden, sondern: Mir ist die Form des Unternehmens so wichtig, dass ich es nicht verkaufen will. Dann würde er Patagonia in die Hände von Investoren geben und könnte nicht mehr sicherstellen, dass die Werte des Unternehmens bewahrt bleiben.
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ZEIT ONLINE: Was zeichnet diese neue Form des Kapitalismus aus?
Steuernagel: Diese neuen Kapitalisten, also diejenigen, die die Stimmrechte im Unternehmen halten und strategische Entscheidungen treffen, sind Menschen, die sich mit dem Unternehmen innerlich verbinden – so verstehe ich Chouinard. Sie arbeiten nicht dafür, den Shareholder Value, also den Börsenwert eines Unternehmens, immer weiter zu vergrößern. Einfacher gesagt: Diese Kapitalisten denken nicht mehr vor allem an ihr eigenes monetäres Wohl – denn sie profitieren auch gar nicht unmittelbar von den Gewinnen des Unternehmens.
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Als ich Purpose US mit aufgebaut habe, merkte ich, wie sehr man dort gegen Windmühlen kämpft. Auch in Deutschland wurden wir anfangs als Kommunisten und alles mögliche beschimpft. Aber in den USA sitzt das Menschenbild, das auf Eigennutz fokussiert ist, den Leuten noch viel tiefer in den Knochen.
ZEIT ONLINE: Dieses Menschenbild gibt ja nicht ohne Grund. Immerhin führte die Vorstellung, dass die Menschen sich fürs Gemeinwohl mindestens genauso anstrengen, zu Hungersnöten. Die gewinnorientierte Marktwirtschaft hat sich besser geschlagen als der Kommunismus.
Steuernagel: Schon Denker wie Aristoteles haben es auf den Punkt gebracht: Die Idee von privatem Eigentum ist der von Staatseigentum deshalb überlegen, weil wir Menschen haben, die ihm verbunden sind, sich identifizieren und vor Ort an vielen Stellen Lösungen suchen. Nicht Menschen, die anonym und distanziert von irgendwelchen Planungszentralen aus sagen, wie es läuft. Aber heute bekommt man oft den Eindruck, dass wir gar nicht mehr in einer Welt leben, in der bei großen Unternehmen echte Eigentümer dahinter stehen. An vielen Stellen hat sich die Wirtschaft anonymisiert.
ZEIT ONLINE: Zu diesem Eindruck haben auch Erlebnisse in Ihrer eigenen Familie beigetragen, richtig?
Steuernagel: Mein Vater war ärztlicher Direktor an einer Klinik, die mehrfach verkauft wurde. Als sie an einen Konzern ging, der stark von Quartalsrhythmen getrieben war, wurde aus einem Ort, zu dem die Menschen gerne hingehen, ein fahler Ort. Mit unglücklichen Patienten und Mitarbeitenden, die keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen können. Alles wurde in die Konzernzentrale delegiert. Mein Vater musste die Hälfte des Personals entlassen, obwohl die Klinik hochprofitabel war. Und der Konzern? Hat selbst auch keine echten Eigentümer, sondern Aktionäre, die in Nanosekunden von großen Computern gesteuert ein- und aussteigen. Das sind eher absentee owners.
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ZEIT ONLINE: Um Unternehmen zu ermöglichen, am Gemeinwohl orientiert zu wirtschaften, haben Sie 2015 die Purpose Stiftung mitgegründet. Was ist so schwierig daran?
Steuernagel: Das Gesellschaftsrecht und die Unternehmensformen wie AG oder GmbH stammen aus der späten Kaiserzeit. Es sieht die Möglichkeit gar nicht vor, dass man als Eigentümer unternehmerisch tätig ist, ohne die Gewinne und das Vermögen für sich in Anspruch zu nehmen. Auch nicht, dass man sagt: Die Anteile sollen weder vererbt noch frei verkäuflich sein. Deshalb müssen wir sehr umständlich rechtliche Krücken schaffen, um überhaupt so etwas wie Verantwortungseigentum umzusetzen. Das ist komplex und viele Start-ups und mittelständische Unternehmen können oder wollen sich keine Stiftung leisten. Bei Purpose bieten wir deshalb eine Zwischenlösung: Wir teilen uns eine Stiftung mit ganz vielen Unternehmen. Es ist ein wirklich komplizierter und nerviger Akt.
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Steuernagel: In Dänemark gibt es diesen rechtlichen Rahmen. Dort sieht man, wie groß das Potenzial ist: Etwa 1.000 Unternehmen befinden sich in Verantwortungseigentum, das ist die Mehrzahl der großen dänischen Unternehmen, und sie entsprechen 70 Prozent des Wertes des dänischen Börsenindexes. Darunter befinden sich Carlsberg, Novo Nordisk und Maersk.
ZEIT ONLINE: Moment, Börsenindex? Wie geht das denn zusammen mit der Idee, dass der Shareholder Value für die Unternehmensführung keine Rolle spielt?
Steuernagel: Manche wie das Pharmaunternehmen Novo Nordisk notieren Anteile ohne Stimmrechte an der Börse, um sich zu finanzieren. Die Stimmrechte sind nicht erblich oder verkäuflich. Selbst wenn alle Aktionäre sich zusammentun würden, hätten sie unternehmerisch nichts zu sagen. Sie können das Unternehmen also auch nicht vor sich hertreiben. Novo Nordisk wurde von Anfang an von Ärzten in Europa gegründet. Sie haben das Patent für die Produktion von Insulin von dem kanadischen Erfinder unter der Voraussetzung bekommen, dass die Gewinne in eine Stiftung fließen. Sie spenden sie unter anderem für die Forschung, die Insulin überflüssig machen soll – also eigentlich gegen das eigene Geschäftsmodell.
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ZEIT ONLINE: Wachstumskritikerinnen sehen den Zwang zu wachsen, den ökonomische Modelle für unseren Wohlstand zugrunde legen, als unvereinbar mit den planetaren Grenzen. Wie wirkt sich Verantwortungseigentum darauf aus?
Steuernagel: Es schafft ihn ab. Wachstumszwang habe ich entweder, weil Aktionäre investiert haben und noch mehr aus ihrer Anlage rausholen wollen. Oder bei Familienunternehmen, weil die Familie wächst und versorgt werden will. Unternehmen in Verantwortungseigentum leben im Durchschnitt länger, sie haben den Antrieb, sich zu wandeln. In Dänemark melden sie auch eine doppelt so hohe Zahl an Patenten an.
Spannende Idee, aber sicherlich auch kein Allheilmittel. Das hatten ja schon der Karl und die Rosa.