11Freunde hat geschrieben:Barfuß und Lackschuh
Rot-Weiss Essen gegen den ETB Schwarz-Weiß, das war einst sportlicher Klassenkampf. In den Fünfzigern bescherten die Klubs der Stadt gemeinsam glorreiche Fußballjahre.
Dieser Text erschien erstmals 2014 in unserer Spezialausgabe „Rivalen an der Ruhr“.
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Seit den Zwanzigern gilt der ETB als „Lackschuhklub“. Das Klischee besagt, dass nur adrette Bürgersöhne im Süden Essens kicken. Bis in die Fünfziger hält sich das Gerücht, die ETB-Akteure wären so gestriegelt, dass sie sich sogar auf dem Rasen siezten. Auf der Haupttribüne tummeln sich die Mittelständler aus der Essener Einkaufsstraße, die am Wochenende bei der Fußlümmelei ein bisschen Zerstreuung im Freien suchen. Lange bevor Tribünen in Multifunktionsarenen als Parkett für Geschäftsanbahnungen dienen, bietet die überdachte Gerade des Uhlenkrugstadions eine Eventkulisse.
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Neun Kilometer nördlich sieht die Fußballwelt ganz anders aus. Seit den späten Zwanzigern ist im Arbeiterbezirk Bergeborbeck mit Rot-Weiss Essen ein Klub groß geworden, dessen Protagonisten aus der Zeche kommen. Das soziale Gefälle, die Gegensätze im Namen und die regionale Nähe sorgen bald für eine giftige Rivalität mit dem ETB. 1939 treffen die Vereine erstmals in der Gauliga Nordrhein aufeinander. RWE gewinnt am Uhlenkrug mit 3:1, der ETB revanchiert sich an der Hafenstraße mit 5:0. Spätestens da ist klar, dass die Reichsstraße 1 (heute A 40) für Essens Fußball fortan eine unsichtbare Demarkationslinie darstellen wird. Rot-Weiss stilisiert sich als volksnaher Kumpelklub, der den Gestopften aus dem Süden Paroli bietet. Kurz: Klassenkampf mit sportlichen Mitteln. Barfuß gegen Lackschuh. Die zechenerfahrenen Anhänger aus Bergeborbeck kommen zu den Derbys fortan mit dem Ansinnen, von der Tribüne ungestraft ihre Vorgesetzten beschimpfen zu können – oder zumindest deren Sprösslinge, die auf dem Rasen im schwarz-weißen Jersey kicken.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Kräfteverhältnisse gedreht. RWE bemüht zwar weiterhin das Klischee des Zechenklubs. Doch kaum ein Spieler verdient sein Geld noch im Schacht. Verantwortlich dafür ist der „Schlotbaron“: Georg Melches. Der Direktor der weltumspannenden Didier-Kogag-Hinselmann AG, eines Zulieferkonzerns im Stahlbau, nutzt seine geschäftlichen Verbindungen, um eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen.
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