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Champions League: Die Milliarde hat sich doch gelohnt
Von Fabian Scheler
10-12 Minuten
Wie ging es aus?
Champions League 2020/21, Halbfinal-Rückspiel
Manchester City – Paris St. Germain 2:0 (1:0)
Manchester damit zum ersten Mal in der Geschichte im Champions League Finale (gegen Chelsea oder Real Madrid)
Wie gut war Manchester City?
Brillant. Sie hatten seltener als Paris den Ball, schossen einmal weniger in Richtung Tor, als Paris das tat, und ließen trotzdem niemals Zweifel aufkommen, dass sie dieses Spiel gewinnen würden. Wie im Hinspiel waren die ersten Minuten wild: Der Platz war leicht eingeschneit, nach dem kürzesten VAR-Check der Geschichte wurde ein Handelfmeter für Paris zurückgenommen und City schoss das erste von zwei perfekt choreografierten Kontertoren. Paris hatte postwendend zwei Möglichkeiten, auszugleichen. Doch ihr Kapitän Marquinhos spränge zwar auch zum Mond, wenn er müsste, sein Kopfball aber ging an die Latte. Und als İlkay Gündoğan den Ball in einer brisanten Zone vor dem Tor verlor, traf Paris‘ Ángel Di María das verwaiste Tor nicht.
Ansonsten folgten die Pariser Attacken ohne den verletzten Kylian Mbappé keinem Schema, außer dem Prinzip Neymar. Sie scheiterten auch häufig an Manchesters Verteidigern, die sich in alles warfen, was da so kam. In einer Szene blockte Rúben Dias eine scharfe Hereingabe lässig mit dem Kopf, während er über den Rasen schlingerte, und stand wieder auf, ohne sich zu schütteln. Sein Kompagnon, John Stones, blockte und klärte so viele Bälle wie kein Zweiter, Kyle Walker zähmte Neymar, Oleksandr Sintschenko weinte nach dem Spiel, weil es womöglich sein bestes überhaupt gewesen ist. Nicht Citys Angriff gewann das Spiel, es war die Abwehr.
Die zweite Halbzeit lief etwas anders. City verließ die eigene Hälfte, kehrte zu seinem gewohnten Druckmachen in des Gegners Hälfte zurück, doch das Ergebnis blieb das gleiche. Ein weiterer präziser Konter über De Bruyne und Phil Foden wurde perfekt abgeschlossen, wieder traf Riyad Mahrez. Paris trat nur noch unangenehm mit Tritten auf, City verpasste das dritte, vierte und fünfte Tor. Egal. Für City ist es das erste Finale in diesem Wettbewerb überhaupt, für Pep Guardiola das dritte nach 2009 und 2011. Am Wochenende könnten sie zudem die Premier League gewinnen. Gibt schlimmere Tage.
Was hat sich Pep Guardiola dieses Mal einfallen lassen?
Nichts Verrücktes und das ist wohl das Beste, was passieren konnte. Man muss herauszoomen, um sein Werk zu erkennen. Er scheiterte im vergangenen Jahrzehnt in der Champions League schon, weil er seinen Spielern bei der Aufstellung nachgab. Weil er kuriose Aufstellungen wählte, die es vorher so nie gab. Oder sich im Spiel noch umentschied. Das brachte ihm das vergiftete Lob des overthinking ein. Jetzt ist er offenbar zum reinen thinking zurückgekehrt, die Maschine läuft. Er hat City seit 2016 geformt und modelliert, jetzt ist er nahe der Perfektion. City wurde unter ihm erwachsen.
Das 1:0 etwa ist ein Tor, wie es typischer für ein Guardiola-Team nicht fallen könnte. Er ahnte, dass Paris weit aufrücken würde. Oleksandr Sintschenko wartete deshalb bei eignem Abstoß auf Höhe der Mittellinie wie ein Angreifer auf den Ball. Der Mann ist Außenverteidiger, Guardiola holte ihn 2016 für vier Millionen Euro aus Ufa. Der Ball kam perfekt geschlagen vom Torhüter Ederson, der mit diesem Pass 80 Meter und 20 Spieler überbrückte. Packing-Freunde fiel glatt der Rechenschieber vor Freude aus der Hand. Sintschenko musste im Laufen mit dem Ball nur kurz aufschauen, um große Freude zu verspüren: Kevin De Bruyne hastete mit, Bernardo Silva auch, am Ende traf Mahrez. Die Außenverteidiger sind für Guardiola wie das Lieblingsmesser für den Koch: das Lieblingswerkzeug zum Filetieren. Solche Tore fallen nicht zufällig.
Sie lassen auch vergessen, dass Manchester in dieser Champions-League-Saison bis auf ein Unentschieden gegen Porto nur Siege holte, und das ohne echten Stürmer. Den hat er abgeschafft. Mal stößt der extrem talentierte 20-jährige Phil Foden in den Strafraum, dem man auch zutrauen würde, einen Ball barfuß auf Lava zu jonglieren, mal ist es Mahrez, mal De Bryune, mal Gündogan, mal Silva. Sie sehen schon, worauf das hinausläuft. Guardiola war auf keiner seiner Stationen ein Freund des Neuners, bei City verlässt Klublegende Kun Aguero deshalb nun den Verein nach zehn Jahren. Aber er scheint damit recht zu haben.
Sein größter Triumph in diesem Jahr aber ist es, seiner Mannschaft das Verteidigen gezeigt zu haben. So tief und gut stehend wie gegen Paris sah man ein Guardiola-Team selten. Bisher war es ja so, dass seine Teams ihre Gegner mit Endlos-Pass-Staffeten vom Tor weghielten, indem sie ihnen den Ball nicht gaben. Nun verzichteten sie auf Ballbesitz, staffelten sich aber auch in der eigenen Hälfte so gut, dass sie selbst im Verteidigen Meter hinzugewannen. Philipp Lahm schrieb über Guardiolas Arbeit vor Kurzem auf ZEIT ONLINE, er sei wie ein Dirigent, der jedes Instrument zur Entfaltung bringt. Bei City hat auch der Mann mit dem Dirigentenstab sein Repertoire erweitert.
Fiese Pariser
Was war mit Neymar und Kylian Mbappé?
Der eine fehlte, was man dem anderen ansah. Als Mbappé am Tag vor dem Spiel ins Hotel humpelte, mutmaßten viele, er bewerbe sich damit für das Manchester Opera House und werde natürlich beim Spiel auflaufen. Solche Täuschungsmanöver sind in dieser Wettbewerbsphase nicht unüblich. Doch die Waden-Verletzung war ernst, er spielte keine Minute. Sein Ersatz, der Argentinier Mauro Icardi, rangiert mindestens zwei Klassen hinter ihm. Das sah man. Mit Neymar produzierte er einige Missverständnisse. In einer Szene lief Neymar einmal quer durch den Strafraum und wollte Icardi den Ball, obwohl völlig frei stehend, partout nicht geben. Lieber verhedderte er sich erneut in Citys Abwehr.
Es war fast tragisch mitanzusehen, denn die beiden zusammen sind ein Grund, warum man dieses Spiel schaut. So aber war es wie Siegfried ohne Roy, wie Chip ohne Chap, als würde Harald Schmidt über Manuel Andrack Gags machen, der aber gar nicht da ist. Der Dritte im Bunde, Ángel Di María, fiel in einer wüsten Pariser-Treter-Phase am schlimmsten auf und kassierte für einen unnötigen Tritt beim Ballholen gegen Fernandinho Rot. Auch Presnel Kimpembe hätte nach einem fiesen Tritt vom Platz fliegen müssen. Paris sammelte wie schon im Hinspiel keine Bonuspunkte in der Fairplay-Wertung, als sie spürten, dass sie das Spiel verlieren würden. Vielleicht lässt sich aus schlechten Verlierern ja die nächste Kollektion für die Pariser Laufstege kreieren.
City fantastisch: Muss man trotzdem kurz innehalten?
Klar. Citys Fans fühlen sich vom Glück geküsst, seit die Vereinigten Arabischen Emirate und Abu Dhabis wichtigster Geschäftsmann, Khaldoon Al Mubarak, 2008 beschlossen, jeden Euro, den es braucht, in diesen Klub zu investieren. Das hat ihnen bisher Meisterschaften und Pokalsiege beschert, doch der große Wurf blieb aus. Die Lösung: City hat seit Guardiolas Amtsantritt 2016 so viel Geld wie kein anderer Verein in Europa für neue Spieler ausgegeben. Mehr als eine Milliarde Euro. Allein im vergangenen Sommer, als alle wegen Corona sparten, investierten sie knapp 70 Millionen Euro in einen Verteidiger, der ihnen nun ins Finale half: Rúben Dias. Darüber, und über den laschen Umgang von Uefa und Internationalem Sportgerichtshof mit offenkundigen Rechtsbeugungen des Klubs, um das Financial Fairplay zu umgehen, darf man gerade in dieser für den Klub bedeutenden Stunde auch kritisch nachdenken. Wahr ist allerdings auch, und das zeigt sich am unterlegenen Klub dieses Halbfinals, dass auch Milliardeninvestments in diesem hochkomplexen Sport nicht zwingend Titel sichern.
Was waren die Zitate des Abends?
"Don’t worry, now the sun rises!"
(Pep Guardiola vor dem Spiel, als er im Mai zugeschneit wurde)