Wenn Leistungsdruck Träume platzen lässt
https://www.zdf.de/nachrichten/panorama ... n-100.html
Wenn Leistungsdruck Träume platzen lässt
Wenn Leistungsdruck Träume platzen lässt
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie
Re: Wenn Leistungsdruck Träume platzen lässt
Das Thema wird zur Zeit immer größer. Und auch längst überfällig ist es dies höher schneller weiter um jeden Preis zu hinterfragen.
Da Bezahlschranke:
https://plus.tagesspiegel.de/gesellscha ... 98203.html
Da Bezahlschranke:
Spoiler
Show
Die Kampfabsage: Wo die Belastbarkeit von Spitzensportlern endet
Katrin Sturm, Martin Einsiedler
10 - 12 minutes
Auf dem Siegerpodest stehen zwölf junge Frauen. Sie halten einen kleinen Blumenstrauß in ihren Händen und strahlen. Bis auf sie.
Simone Biles, mit 1,42 Meter die kleinste von ihnen, schafft es die meiste Zeit nicht einmal, so zu tun, als würde sie sich über die Silbermedaille im Mannschaftsturnen freuen. Sie wirkt seltsam deplatziert. Fast schon angstvoll blickt die US-Amerikanerin immer wieder nach hinten. Wer kann da sein?
Vermutlich warten dort hinten, am Ausgang der Arena, all die enttäuschten Erwartungen. Und gleich wird sich Biles auf der Pressekonferenz erklären sollen. Gründe nennen, warum sie, die beste Turnerin der Welt, nicht abgeliefert hat.
Ich habe heute gegen Dämonen gekämpft und ich konnte sie nicht zurückhalten.
Simone Biles
Biles, die sonst so mühelos und für das ungelernte Auge viel zu schnell um ihre Achsen rotiert, hatte dieses Mal in ihren Sprung über den Tisch nur eineinhalb Schrauben eingebaut. Mit dem Oberkörper hing die sonst quirlige Amerikanerin noch schief in der Luft, als sie bereits am Boden aufschlug. Tief in der Hocke, die Beine, die ihr sonst die spektakulärsten Höchstschwierigkeiten erlauben, arg strapazierend, aber doch die Balance noch haltend.
Der US-Verband spricht von medizinischen Problemen
Die viermalige Goldmedaillengewinnern bei den Olympischen Spielen in Rio bricht den Wettbewerb im Team-Finale nach diesem Missgeschick am ersten Gerät ab. So landen die favorisierten US-Amerikanerinnen hinter den Turnerinnen aus Russland auf Rang zwei.
Der US-Verband spricht am Dienstag in Tokio von medizinischen Problemen, die Biles zur Aufgabe gezwungen hätten. Doch kurz darauf stellt Biles klar, dass nicht körperliche Ursachen sie zum Rückzug bewogen hätten.. „Ich habe heute gegen Dämonen gekämpft und ich konnte sie nicht zurückhalten“, sagte sie. Sie habe gehofft, das Gefühl zu bekommen, dass sie den Wettkampf für sich selbst bestreiten könnte. „Aber es hat sich angefühlt, als würde ich es für andere tun.“ Das würde ihr das Herz brechen.
In Tokio macht sie einen sehr angeschlagenen Eindruck.
„Das zu tun, was ich liebe, wurde mir irgendwie genommen, um anderen zu gefallen.“ Sie habe die anderen, die so hart für diesen Auftritt gearbeitet hätten, nicht durch eigene Fehler um ihren verdienten Lohn bringen wollen, erklärte Biles weiter. Sie spricht schnell und fahrig, wirkt hypernervös. Sie sei im Kopf nicht bereit gewesen und müsse sich und ihren Körper schützen.
Einen Tag später sagt Biles auch ihren Start im Einzel-Mehrkampf ab. Ob sie an den Einzel-Entscheidungen vom 1. bis 3. August teilnehmen wird, bleibt offen. Überhaupt ist plötzlich ungewiss, ob die 24-Jährige noch einmal antreten wird.
Nicht nur sie belasten die Erwartungen der Welt
In diesen Tagen, in denen große Teile der Welt nach Tokio schauen, zeigt sich einmal mehr, dass sich viele Spitzensportlerinnen und -sportler schwertun mit dem grell leuchtenden Scheinwerferlicht. Hatte sich doch nur wenige Stunden vor dem Drama im Ariake Gymnastics Center unweit ein ähnliches auf der Tennisanlage abgespielt.
Die Ausnahmesportlerin Naomi Osaka, Fahnenträgerin Japans, verlor überraschend ihre Drittrunden-Partie gegen die Außenseiterin Marketa Vondrousova aus Tschechien. Osaka sprach anschließend von den großen Erwartungen, die auf ihr lasten würden. „Die Maßstäbe, die an einen gestellt werden, sind ziemlich hoch“, sagte sie.
Osaka sagt, sie leide an Depressionen.
Schon bei den French Open im Juni hatte die 23-Jährige für Irritationen gesorgt, als sie Pressekonferenzen verweigerte. Später erklärte sie, dass sie seit längerer Zeit immer wieder an Depressionen leide und ihr die öffentlichen Auftritte nicht guttäten.
Auch auf Nyjah Huston lastet die Öffentlichkeit. Der US-Amerikaner gilt als ein Mozart unter den Skateboardern. Er wird weltweit für seine Künste auf dem Brett geschätzt. Sein Körpergefühl, seine Kreativität, sein Mut sind einzigartig in seiner Sportart. Die Goldmedaille für ihn schien eine ausgemachte Sache. Doch Huston scheiterte, wurde Siebter in Tokio. Auf Instagram postete er kurz darauf, dass er noch nie so viel Druck verspürt habe. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich einige Menschen enttäuscht habe. Aber ich habe kein Problem damit, das zuzugeben. Ich bin auch nur ein Mensch.“
Es lag und liegt immer noch im Erbgut des Spitzensports, Stärke nach außen zu demonstrieren. Depressionen oder ein Burnout bei Athleten sind lange Zeit allenfalls dann der Öffentlichkeit bekannt geworden, wenn dies, wie etwa beim Profi-Fußballer Sebastian Deisler, mit dem Karriereende einherging. Oder mit dem Tod endete, wie beim Fußball-Torhüter Robert Enke im Jahr 2009.
In den sozialen Medien werden Biles, Osaka und Huston gefeiert
Der Kopf war im Sport lange ein Tabu, wenn er nicht zum Köpfen da war. Und die Seele? Bewundert wurden Sportler wie der frühere deutsche Nationaltorwart Oliver Kahn, der – so behauptete er es zumindest – nicht trotz des Drucks Höchstleistungen brachte. Sondern deswegen. „Weiter, immer weiter“ ist der vielleicht bekannteste Satz von Kahn. Er stand lange als eine Art Leitlinie für jene, die es ganz nach oben schaffen wollen.
Weiter, immer weiter.
Oliver Kahn
Dass mehr und mehr aktive Sportlerinnen und Sportler über ihre mentalen Probleme offen sprechen, wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Doch es tut sich etwas. Und die Sportlerinnen und Sportler erfahren viel Unterstützung. In sozialen Medien werden Biles, Osaka und Huston für ihren offenen Umgang mit ihren Seelenzuständen gefeiert. Es ist keine Schande mehr, zuzugeben, dass der Kopf, die Psyche – und damit auch der Körper – nicht mitgemacht haben, man verletzlich ist. Im Gegenteil: So werden die Stars für viele Fans nahbar.
Auch der Ausnahme-Skateboarder Nyjah Huston hat eine dramatische Biographie. Ohne Kindheit.
Wenngleich es für manche im Sport noch immer nur Sieger und Verlierer gibt. Einer ist der bekannte US-amerikanische Konservative Charlie Kirk. Biles’ Vorstellung in Tokio sei eine Schande für das Land gewesen, sagt er in seinem Podcast. „Wir ziehen hier gerade eine Generation von schwachen Menschen heran. Wenn sie all diese mentalen Probleme hat, dann soll sie sie nicht zeigen.“
Es gab Vorzeichen für Biles’ Überforderung
Eine Depression kann den Briefträger genauso erwischen wie den Lehrer. Im Leistungssport kommen psychische Erkrankungen nicht häufiger vor als in anderen Teilen der Gesellschaft. Eigentlich ist es vielmehr so, dass sich Spitzensportlerinnen und -sportler durch eine besonders hohe Resilienz auszeichnen. Sie sind im Laufe ihrer Sozialisation daran gewöhnt worden, mit Druck umzugehen. Aber selbst für erprobte Athletinnen und Athleten kann die Belastung zu groß werden.
„Das Ausbrechen psychischer Erkrankungen wird durch den öffentlichen Druck auf jeden Fall verstärkt“, sagte jüngst die Psychologin Marion Sulprizio im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Simone Biles befand sich schon einmal länger in therapeutischer Behandlung. In Tokio kichert sie mal, mal kommen ihr die Tränen.
Ich erinnere mich noch, dass ich in den ersten Jahren immer hungrig und ängstlich war.
Simone Biles
Obwohl das, was von ihr am Dienstag zu sehen gewesen war, überraschte, hatte es Vorzeichen gegeben, dass die Turnerin nicht in Bestform war. Zwar hatte sie im Vorfeld zum wiederholten Mal neue Maßstäbe gesetzt, etwa, als sie als erste Turnerin einen bislang den Männern vorbehaltenen „Jurtschenko“, einen Flickflack aus einer Art Radschlag heraus über den Tisch mit gebücktem Doppelsalto zeigte. Das Element könnte das insgesamt fünfte sein, das in den internationalen Wertungsvorschriften unter ihrem Namen eingetragen wird.
Doch bei den US-Trials war die Überfliegerin in einem Vierkampf ihrer Nationalteamkollegin Sunisa Lee unterlegen. Es war das erste Mal seit sieben Jahren, dass sie eine Stufe weiter unten stand.
Die Großeltern adoptieren die kleinen Kinder
Auf dem Weg zum Superstar des US-Turnens hat Biles vieles durchgemacht. Von klein auf: Ihre Mutter Shanon war alkohol- und drogenabhängig, immer wieder im Gefängnis. Ihr Vater Kelvin Clemons verließ die Familie früh. „Ich erinnere mich noch“, sagte Simone Biles einmal, „dass ich in den ersten Jahren immer hungrig und ängstlich war. Ich hatte keine Mutter, zu der ich gehen konnte.“
Wie Corona die Opioidkrise verschärft „Jeder kann süchtig werden“
Die Kinder, insgesamt vier, kamen in eine Pflegeunterkunft in ihrer Geburtsstadt Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Als Biles drei Jahre alt war, wurden sie und ihre Geschwister von den Großeltern Ron und Nellie Biles adoptiert. Sie bezeichnet ihre Großeltern seit vielen Jahren als ihre Eltern. „Sie haben mich gerettet“, sagte Biles.
Und sie brachten sie zum Turnen.
Mit sechs Jahren fing sie an – und sofort wurde ihr Talent erkannt. Unter der Anleitung von Trainerin Aimee Boorman wurde aus Biles die überragende Turnerin ihrer Generation. Gerade weil sie so klein ist, ist sie wie geschaffen fürs Turnen. „Sie hat einen begnadeten Körper“, sagt die deutsche Bundestrainerin Ursula Koch, „eine superschnelle Muskulatur. Das kann man nicht trainieren. Das ist von Gott gegeben.“
Eines seiner Missbrauchsopfer: Simone Biles
Überhaupt Gott. Er spielt im Leben von Simone Biles eine große Rolle. Ihre Großeltern sind strenggläubige Katholiken. Biles praktiziert den Katholizismus, betont immer wieder, wie sehr ihr Gott helfe. Auch in dunklen Stunden.
Von denen hat es in ihrem Leben viele gegeben. Larry Nassar war der frühere Teamarzt der US-Turnerinnen. Im vergangenen Jahr wurde er wegen massenhaften sexuellen Missbrauchs zu 40 bis 175 Jahren Haft verurteilt. Eines seiner Opfer: Simone Biles.
156 Mädchen und Frauen waren angehört worden. In einer Youtube-Reihe erzählte Biles, dass sie in dieser schlimmen Zeit viel geschlafen habe. „Weil das dem Tod am nächsten kommt.“
Eine ähnlich dramatische Biografie hat der Ausnahme-Skateboarder Nyjah Huston. Sein Vater Adeyemi Huston war ein sehr strenger Vertreter der Rastafari-Glaubensrichtung. Er lehnte die westliche Kultur ab, isolierte seine Kinder von der Außenwelt. Als er das Talent von Nyjah erkannte, baute er eine Skateboard-Rampe in den Garten und verordnete dem fünf Jahre alten Jungen tägliches Training.
Katrin Sturm, Martin Einsiedler
10 - 12 minutes
Auf dem Siegerpodest stehen zwölf junge Frauen. Sie halten einen kleinen Blumenstrauß in ihren Händen und strahlen. Bis auf sie.
Simone Biles, mit 1,42 Meter die kleinste von ihnen, schafft es die meiste Zeit nicht einmal, so zu tun, als würde sie sich über die Silbermedaille im Mannschaftsturnen freuen. Sie wirkt seltsam deplatziert. Fast schon angstvoll blickt die US-Amerikanerin immer wieder nach hinten. Wer kann da sein?
Vermutlich warten dort hinten, am Ausgang der Arena, all die enttäuschten Erwartungen. Und gleich wird sich Biles auf der Pressekonferenz erklären sollen. Gründe nennen, warum sie, die beste Turnerin der Welt, nicht abgeliefert hat.
Ich habe heute gegen Dämonen gekämpft und ich konnte sie nicht zurückhalten.
Simone Biles
Biles, die sonst so mühelos und für das ungelernte Auge viel zu schnell um ihre Achsen rotiert, hatte dieses Mal in ihren Sprung über den Tisch nur eineinhalb Schrauben eingebaut. Mit dem Oberkörper hing die sonst quirlige Amerikanerin noch schief in der Luft, als sie bereits am Boden aufschlug. Tief in der Hocke, die Beine, die ihr sonst die spektakulärsten Höchstschwierigkeiten erlauben, arg strapazierend, aber doch die Balance noch haltend.
Der US-Verband spricht von medizinischen Problemen
Die viermalige Goldmedaillengewinnern bei den Olympischen Spielen in Rio bricht den Wettbewerb im Team-Finale nach diesem Missgeschick am ersten Gerät ab. So landen die favorisierten US-Amerikanerinnen hinter den Turnerinnen aus Russland auf Rang zwei.
Der US-Verband spricht am Dienstag in Tokio von medizinischen Problemen, die Biles zur Aufgabe gezwungen hätten. Doch kurz darauf stellt Biles klar, dass nicht körperliche Ursachen sie zum Rückzug bewogen hätten.. „Ich habe heute gegen Dämonen gekämpft und ich konnte sie nicht zurückhalten“, sagte sie. Sie habe gehofft, das Gefühl zu bekommen, dass sie den Wettkampf für sich selbst bestreiten könnte. „Aber es hat sich angefühlt, als würde ich es für andere tun.“ Das würde ihr das Herz brechen.
In Tokio macht sie einen sehr angeschlagenen Eindruck.
„Das zu tun, was ich liebe, wurde mir irgendwie genommen, um anderen zu gefallen.“ Sie habe die anderen, die so hart für diesen Auftritt gearbeitet hätten, nicht durch eigene Fehler um ihren verdienten Lohn bringen wollen, erklärte Biles weiter. Sie spricht schnell und fahrig, wirkt hypernervös. Sie sei im Kopf nicht bereit gewesen und müsse sich und ihren Körper schützen.
Einen Tag später sagt Biles auch ihren Start im Einzel-Mehrkampf ab. Ob sie an den Einzel-Entscheidungen vom 1. bis 3. August teilnehmen wird, bleibt offen. Überhaupt ist plötzlich ungewiss, ob die 24-Jährige noch einmal antreten wird.
Nicht nur sie belasten die Erwartungen der Welt
In diesen Tagen, in denen große Teile der Welt nach Tokio schauen, zeigt sich einmal mehr, dass sich viele Spitzensportlerinnen und -sportler schwertun mit dem grell leuchtenden Scheinwerferlicht. Hatte sich doch nur wenige Stunden vor dem Drama im Ariake Gymnastics Center unweit ein ähnliches auf der Tennisanlage abgespielt.
Die Ausnahmesportlerin Naomi Osaka, Fahnenträgerin Japans, verlor überraschend ihre Drittrunden-Partie gegen die Außenseiterin Marketa Vondrousova aus Tschechien. Osaka sprach anschließend von den großen Erwartungen, die auf ihr lasten würden. „Die Maßstäbe, die an einen gestellt werden, sind ziemlich hoch“, sagte sie.
Osaka sagt, sie leide an Depressionen.
Schon bei den French Open im Juni hatte die 23-Jährige für Irritationen gesorgt, als sie Pressekonferenzen verweigerte. Später erklärte sie, dass sie seit längerer Zeit immer wieder an Depressionen leide und ihr die öffentlichen Auftritte nicht guttäten.
Auch auf Nyjah Huston lastet die Öffentlichkeit. Der US-Amerikaner gilt als ein Mozart unter den Skateboardern. Er wird weltweit für seine Künste auf dem Brett geschätzt. Sein Körpergefühl, seine Kreativität, sein Mut sind einzigartig in seiner Sportart. Die Goldmedaille für ihn schien eine ausgemachte Sache. Doch Huston scheiterte, wurde Siebter in Tokio. Auf Instagram postete er kurz darauf, dass er noch nie so viel Druck verspürt habe. „Es tut mir leid. Ich weiß, dass ich einige Menschen enttäuscht habe. Aber ich habe kein Problem damit, das zuzugeben. Ich bin auch nur ein Mensch.“
Es lag und liegt immer noch im Erbgut des Spitzensports, Stärke nach außen zu demonstrieren. Depressionen oder ein Burnout bei Athleten sind lange Zeit allenfalls dann der Öffentlichkeit bekannt geworden, wenn dies, wie etwa beim Profi-Fußballer Sebastian Deisler, mit dem Karriereende einherging. Oder mit dem Tod endete, wie beim Fußball-Torhüter Robert Enke im Jahr 2009.
In den sozialen Medien werden Biles, Osaka und Huston gefeiert
Der Kopf war im Sport lange ein Tabu, wenn er nicht zum Köpfen da war. Und die Seele? Bewundert wurden Sportler wie der frühere deutsche Nationaltorwart Oliver Kahn, der – so behauptete er es zumindest – nicht trotz des Drucks Höchstleistungen brachte. Sondern deswegen. „Weiter, immer weiter“ ist der vielleicht bekannteste Satz von Kahn. Er stand lange als eine Art Leitlinie für jene, die es ganz nach oben schaffen wollen.
Weiter, immer weiter.
Oliver Kahn
Dass mehr und mehr aktive Sportlerinnen und Sportler über ihre mentalen Probleme offen sprechen, wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Doch es tut sich etwas. Und die Sportlerinnen und Sportler erfahren viel Unterstützung. In sozialen Medien werden Biles, Osaka und Huston für ihren offenen Umgang mit ihren Seelenzuständen gefeiert. Es ist keine Schande mehr, zuzugeben, dass der Kopf, die Psyche – und damit auch der Körper – nicht mitgemacht haben, man verletzlich ist. Im Gegenteil: So werden die Stars für viele Fans nahbar.
Auch der Ausnahme-Skateboarder Nyjah Huston hat eine dramatische Biographie. Ohne Kindheit.
Wenngleich es für manche im Sport noch immer nur Sieger und Verlierer gibt. Einer ist der bekannte US-amerikanische Konservative Charlie Kirk. Biles’ Vorstellung in Tokio sei eine Schande für das Land gewesen, sagt er in seinem Podcast. „Wir ziehen hier gerade eine Generation von schwachen Menschen heran. Wenn sie all diese mentalen Probleme hat, dann soll sie sie nicht zeigen.“
Es gab Vorzeichen für Biles’ Überforderung
Eine Depression kann den Briefträger genauso erwischen wie den Lehrer. Im Leistungssport kommen psychische Erkrankungen nicht häufiger vor als in anderen Teilen der Gesellschaft. Eigentlich ist es vielmehr so, dass sich Spitzensportlerinnen und -sportler durch eine besonders hohe Resilienz auszeichnen. Sie sind im Laufe ihrer Sozialisation daran gewöhnt worden, mit Druck umzugehen. Aber selbst für erprobte Athletinnen und Athleten kann die Belastung zu groß werden.
„Das Ausbrechen psychischer Erkrankungen wird durch den öffentlichen Druck auf jeden Fall verstärkt“, sagte jüngst die Psychologin Marion Sulprizio im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Simone Biles befand sich schon einmal länger in therapeutischer Behandlung. In Tokio kichert sie mal, mal kommen ihr die Tränen.
Ich erinnere mich noch, dass ich in den ersten Jahren immer hungrig und ängstlich war.
Simone Biles
Obwohl das, was von ihr am Dienstag zu sehen gewesen war, überraschte, hatte es Vorzeichen gegeben, dass die Turnerin nicht in Bestform war. Zwar hatte sie im Vorfeld zum wiederholten Mal neue Maßstäbe gesetzt, etwa, als sie als erste Turnerin einen bislang den Männern vorbehaltenen „Jurtschenko“, einen Flickflack aus einer Art Radschlag heraus über den Tisch mit gebücktem Doppelsalto zeigte. Das Element könnte das insgesamt fünfte sein, das in den internationalen Wertungsvorschriften unter ihrem Namen eingetragen wird.
Doch bei den US-Trials war die Überfliegerin in einem Vierkampf ihrer Nationalteamkollegin Sunisa Lee unterlegen. Es war das erste Mal seit sieben Jahren, dass sie eine Stufe weiter unten stand.
Die Großeltern adoptieren die kleinen Kinder
Auf dem Weg zum Superstar des US-Turnens hat Biles vieles durchgemacht. Von klein auf: Ihre Mutter Shanon war alkohol- und drogenabhängig, immer wieder im Gefängnis. Ihr Vater Kelvin Clemons verließ die Familie früh. „Ich erinnere mich noch“, sagte Simone Biles einmal, „dass ich in den ersten Jahren immer hungrig und ängstlich war. Ich hatte keine Mutter, zu der ich gehen konnte.“
Wie Corona die Opioidkrise verschärft „Jeder kann süchtig werden“
Die Kinder, insgesamt vier, kamen in eine Pflegeunterkunft in ihrer Geburtsstadt Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Als Biles drei Jahre alt war, wurden sie und ihre Geschwister von den Großeltern Ron und Nellie Biles adoptiert. Sie bezeichnet ihre Großeltern seit vielen Jahren als ihre Eltern. „Sie haben mich gerettet“, sagte Biles.
Und sie brachten sie zum Turnen.
Mit sechs Jahren fing sie an – und sofort wurde ihr Talent erkannt. Unter der Anleitung von Trainerin Aimee Boorman wurde aus Biles die überragende Turnerin ihrer Generation. Gerade weil sie so klein ist, ist sie wie geschaffen fürs Turnen. „Sie hat einen begnadeten Körper“, sagt die deutsche Bundestrainerin Ursula Koch, „eine superschnelle Muskulatur. Das kann man nicht trainieren. Das ist von Gott gegeben.“
Eines seiner Missbrauchsopfer: Simone Biles
Überhaupt Gott. Er spielt im Leben von Simone Biles eine große Rolle. Ihre Großeltern sind strenggläubige Katholiken. Biles praktiziert den Katholizismus, betont immer wieder, wie sehr ihr Gott helfe. Auch in dunklen Stunden.
Von denen hat es in ihrem Leben viele gegeben. Larry Nassar war der frühere Teamarzt der US-Turnerinnen. Im vergangenen Jahr wurde er wegen massenhaften sexuellen Missbrauchs zu 40 bis 175 Jahren Haft verurteilt. Eines seiner Opfer: Simone Biles.
156 Mädchen und Frauen waren angehört worden. In einer Youtube-Reihe erzählte Biles, dass sie in dieser schlimmen Zeit viel geschlafen habe. „Weil das dem Tod am nächsten kommt.“
Eine ähnlich dramatische Biografie hat der Ausnahme-Skateboarder Nyjah Huston. Sein Vater Adeyemi Huston war ein sehr strenger Vertreter der Rastafari-Glaubensrichtung. Er lehnte die westliche Kultur ab, isolierte seine Kinder von der Außenwelt. Als er das Talent von Nyjah erkannte, baute er eine Skateboard-Rampe in den Garten und verordnete dem fünf Jahre alten Jungen tägliches Training.
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie