Zeit hat geschrieben:Leben mit dem Infektionsrisiko – das scheint der neue Normalzustand. So müsste es nicht sein. Die Seuche wäre in den Griff zu kriegen, wenn man diese acht Punkte bedenkt.
Statt nur zu überlegen, wie ein Alltag mit Corona aussehen kann, sollten wir das Virus weiter aktiv zurückdrängen, schreibt der Physiker Matthias F. Schneider. Das sei durchaus noch möglich. Acht Aspekte aus Physik und Mathematik, die dabei wichtig sind.
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7. Klug ist, das Feuer im Keim zu ersticken
Die beste Strategie ist nach wie vor, das Feuer im Keim zu ersticken. Ein bundesweiter Lockdown wird eben durch lokale Vorsichtsmaßnahmen vermieden. Wenn zum Beispiel nach einem Superspreading-Ereignis der Hot-Spot identifiziert ist, muss sofort und konsequent lokal reagiert werden, damit die Infektionen nicht auf die Umgebung überspringen.
Die Unterdrückung des Virus in zwei bis drei Wochen
Aber das reicht nicht. Wir müssen uns vor neuen Superspreading-Ereignissen schützen und uns weiter in Richtung Null bewegen. Im Moment gilt in den meisten Bundesländern eine Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche. Im Extremfall würden so mehr als 40.000 Neuinfizierte in Deutschland zusammenkommen, was dramatisch wäre. Mit solchen Maßgaben wird man das Virus nicht nur nicht loswerden, sondern man muss mit einem explosionsartigen Wachstum rechnen.
Daher wäre mein Vorschlag, deutlich strengere Kriterien anzusetzen und diese der Situation anzupassen. Das könnte gelingen, indem man beispielsweise den Mittelwert der Neuinfektionen über ein größeres Gebiet als Kriterium nimmt. Das hieße, man teilt die Gesamtzahl der Neuinfektionen durch die Einwohnerzahl in dem entsprechenden Gebiet. Bundesweit betrachtet, liegt dieser Mittelwert gerade bei etwa 10 pro 100.000 Einwohnern. Man könnte dieses Prinzip zum Beispiel auf einzelne Bundesländer anwenden: Jeder Landkreis, dessen Neuinfektionen sich unter dem Mittelwert befänden, könnte entspannen und als grüne Zone gelten, und jeder, der diesen Wert überschreitet, befände sich in einem Zustand, den wir hier als als gelbe Zone bezeichnen wollen. Die Bevölkerung ginge in einen "Zustand erhöhter Vorsicht", der dann wieder mit bestimmten Einschränkungen einhergehen würde. Je konsequenter die Maßnahmen umgesetzt werden würden, desto schneller gelänge die Rückkehr ins Grüne.
Der Clou: Auf diese Weise würde der Mittelwert immer weiter gedrückt und die Tendenz zur grünen Zone verstärkt. Nur eins bliebe der Gemeinde nicht erspart: Solange die Gefahr des Virus nicht geklärt und keine Impfung oder Heilung möglich ist, muss sie wachsam bleiben und regelmäßig testen. Je mehr Bezirke aber auf Grün springen, desto weiter könnten die Maßnahmen zurückgefahren werden.
8. Es braucht lokale Lösungen, mit Rücksicht auf die Nachbarn
Um die mühsam grün gewordenen Zonen zu schützen, würden Einwohnerinnen und Einwohner von roten Zonen (alle, die deutlich vom Mittelwert abweichen sowie alle mit Superspreading-Events) in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Zu Beginn mag ein solches Vorgehen zäh verlaufen und wäre womöglich politisch anfangs schwer durchzusetzen. Aber da letztlich alle davon profitieren würden (auch die Wirtschaft), führte es dazu, dass auch die Nachbargemeinden grüner Zonen eher auf Grün springen würden, weil die umliegenden grünen Zonen sie schützen, da von dort ja keine Infizierten einreisen könnten.
Viele Details müssten natürlich ausgearbeitet und konkrete Maßnahmen politisch diskutiert werden. Aber aus physikalisch-infektionstheoretischer Sicht sind diese Vorschläge von Bar-Yam und Taleb beinahe alternativlos. Ein halbherziges Eindämmen, wie es derzeit praktiziert wird, führt zu einem Auf und Ab der Infektionszahlen. Das wird die Bevölkerung weiter verunsichern, was wiederum Wirtschaft und Gesellschaft schadet.