Er ist der unbekannteste deutsche Fußballer von Weltrang. Wie wäre das Leben des Peter Ducke verlaufen, hätte er nicht in der DDR gespielt, sondern die 80.000 Mark von Werder Bremen angenommen?
Unten in der Küche sitzt die Schwiegermutter. Die Treppe rauf, in einem Haus in einem Dorf unweit von Jena, liegt das Reich von Peter Ducke. Auf dem Boden drei große Netze mit Dutzenden Fußbällen; an der Wand ein Mosaik aus Fotos, Urkunden und Zeitungsausschnitten.
Fußball und Familie, das ist die Welt von Ducke, dem ganz großen Kicker der DDR in den Sechziger- und Siebzigerjahren. "Pelé des Ostens" wurde er genannt oder "Schwarzer Peter". Die einst schwarzen Haare sind heute weiß. Ducke - alert, temperamentvoll und 75 Jahre alt - springt von einem Bild zum nächsten.
Hier, dieser Zeitungsausschnitt handelt vom Europacup-Spiel zwischen Carl Zeiss Jena und dem walisischen Klub Swansea City im Oktober 1961. Jena gewann 5:1, Ducke schoss in der 75. Minute das vierte Tor.
Gleich daneben eine Glückwunschkarte zum 70. Geburtstag, von Gerd Müller, in der Bundesrepublik einst der "Bomber der Nation". An Müller erinnern sich noch viele, seinen Teamgenossen Franz Beckenbauer kennt noch heute so gut wie jeder, im Osten wie im Westen Deutschlands, aber Peter Ducke? Im Westen ist er völlig unbekannt. Die Ostdeutschen schauten in den Jahren der Teilung nach Westen, die Westdeutschen auch. So war das im geteilten Deutschland, auch was den Fußball anging.
Dabei hätte Ducke das Zeug zum Weltstar des Rasens gehabt.
68 Länderspiele. Viele beeindruckte Gegenspieler, genervte Schiedsrichter, strapazierte Trainer. Und ein ganz eigener Stil, ballverliebt, elegant, dribbelstark, impulsiv, mit famosem Torinstinkt. Das Magazin "Kicker" wählte ihn als einzigen Ostdeutschen in seine Top Ten des 20. Jahrhunderts. "Du, lieber Peter, warst schon ein ganz Großer", schrieb ihm Uwe Seeler. Und fragte, ob Ducke und er heute noch so erfolgreiche Torschützen sein könnten. "Ich behaupte mal: Ja! Denn: Kämpfer wie Du und ich würden sich immer durchsetzen. Egal mit welchem System, egal wie die Order des Trainers lauten würde."
Seit Peter Ducke sich erinnern kann, haben ihn Bälle fasziniert. "Etwas Rundes, das sich bewegt, das rollt, das ist immer interessant", sagt er. Nachdem er 1945 im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern und vier Geschwistern aus dem Sudetenland nach Schönebeck bei Magdeburg geflohen war, verbrachte er die Nachmittage auf den Elbwiesen.
Der Schulranzen flog in die Ecke, ein Ball wurde rausgeholt. Es wurde nicht ordentlich sieben gegen sieben gespielt, sondern "geknödelt", einer umspielt, noch einer, endlos gefummelt. Wenn niemand sonst Zeit hatte, übte er allein, an einer Mauer. Kopfbälle, Ball in der Luft halten: Technik lernt man beim Fußball als Kind, später lernt man nur noch rennen.
"Vielleicht liegt es auch in den Genen", sagt Ducke. Der Vater hatte im Sudetenland Linksaußen gespielt, Peters sieben Jahre älterer Bruder Roland war ein begnadeter Mittelfeldspieler. Der kleine Peter kickte zunächst beim SV Motor Schönebeck, doch als er 18 war, Ende 1959, wechselte er nach Jena. Roland spielte schon dort, Oberliga. Der Trainer von Jena, Georg Buschner, später Nationaltrainer, nahm sich seiner väterlich an. Schon zehn Monate nach seinem Debüt in Jena trug Ducke zum ersten Mal das Nationaltrikot. Die DDR-Auswahl gewann gegen Finnland 5:1.
Walter Jahn, Vater des heutigen Stasi-Aktenbeauftragten und langjähriger Nachwuchsleiter in Jena, sagte: "Peter Ducke hat den Jenaer Fußball wirklich zu Ruhm gebracht." Insgesamt wurde Ducke mit Jena dreimal DDR-Meister und gewann dreimal den Pokal.
Als Jena in der Oberliga gegen den Berliner Stasi-Klub Dynamo spielte und ein Dynamo-Spieler sich ein Bein brach, kam ein kleiner Choleriker in die Kabine der Jenaer. "Welches Schwein hat dem Matzen das Bein gebrochen?", rief er. Der Jenaer Trainer Buschner antwortete dem späteren Minister für Staatssicherheit Erich Mielke: "Wenn Sie nicht sofort aus der Kabine verschwinden, lass ich Sie durch die Spieler rausschmeißen." Mielke verließ murrend den Raum.
Ducke spielte in insgesamt 352 Erstligaspielen für Jena, in denen er 153 Tore schoss, doch noch besser haben ihm die Länderspiele für die DDR gefallen, vor allem die in Südamerika. "Da habe ich alle großen Stadien bespielt", erzählt er. Das Flair und der Enthusiasmus seien unglaublich gewesen. "Da bist du nicht nur der Zauberer, du wirst angehimmelt." Er dachte, warum er nicht dort geboren worden sei. "Einfach genial."
Ducke war ein Spieler nach dem Herzen der Südamerikaner. Spielte am liebsten drei Mann aus. Fummelte. Lief mit dem Ball. Gab nicht gern ab, oft zum Ärger seiner Mitspieler und seines Trainers. Aber dann schoss er geniale Tore. Und diente so der Mannschaft.
Die Fußballer in der DDR hatten offiziell Amateurstatus, aber sie hatten professionelle Bedingungen. Ducke und seine Mannschaftskameraden waren beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Carl Zeiss angestellt, der sie wiederum für den Sport freistellte. Ducke bekam 1200 Mark Lohn im Monat, die Wohnung kostete 35 Mark Miete. Bald baute er sich ein Haus, ein Auto hatte er sowieso. "Einfach genial" fand er auch dies, es ist sein Motto und Mantra zugleich.
Während eines Banketts nach einem Europacup-Spiel in Schweden wartete vor dem Hotel ein Manager von Werder Bremen auf Ducke. Er zeigte ihm einen Mercedes. "Im Handschuhfach liegen 80.000 D-Mark", sagte der. "Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen den Schlüssel." Ducke überlegte kurz und sagte "Nee, danke."
Er hatte doch alles, was er wollte und brauchte, in der DDR. Auto, Haus. Superjob. Und seine Frau war schwanger. Wie konnte er da abhauen?
Im Gegensatz zu den allermeisten DDR-Bürgern kam Ducke oft genug ins kapitalistische Ausland. 1972 gewann er in München mit der DDR-Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen die Bronzemedaille. Bei der Weltmeisterschaft in der Bundesrepublik 1974 sollte er auch wieder dabei sein, doch gut drei Monate zuvor erlitt er einen Meniskuseinriss, wurde nicht mehr vollständig fit und saß zumeist auf der Ersatzbank. Für ihn spielte der Magdeburger Stürmer Jürgen Sparwasser. Der schoss im Juni 1974 den Siegtreffer gegen die Bundesrepublik und ist deshalb im Westen als einziger DDR-Spieler noch heute bekannt.
"Ich bin manchmal auf dem Platz ausgerastet", erzählt Ducke, "das ist noch gelinde ausgedrückt." Mit dem Anpfiff verwandelte er sich in einen anderen Menschen. Temperamentvoll, immer am Diskutieren mit den Schiedsrichtern. Dreimal kassierte er im Laufe seiner Karriere einen Platzverweis, immer weil er sich nachhaltig bei den Unparteiischen beschwert hatte.
Peter Ducke hat nicht nur ein unbändiges Temperament, sondern auch etwas Anarchisches. Daran biss sich auch sein Trainer Hans Meyer die Zähne aus, bis er Ducke 1977 "aussortierte". Da war Ducke 36.
Er arbeitete zunächst als Jugendtrainer für seinen alten Klub Carl Zeiss, doch als er einmal mit dem Westwagen einer Cousine aus der Bundesrepublik zur Arbeit vorgefahren war, wurde er auf der Stelle gefeuert. So kleinlich konnte es in der DDR zugehen.
Doch Ducke landete bald einen Glückstreffer. Er bekam die Möglichkeit, als Sportlehrer Schülerinnen und Schüler der Klassen fünf bis zehn zu unterrichten. 21 Jahre lang arbeitete er an der Polytechnischen Oberschule "Karl Liebknecht" in Jena. Und er liebte es; er liebte die Arbeit mit Kindern.
Kurz nach der Wende verdächtigten Westjournalisten Ducke, wie so viele bekannte DDR-Bürger, der Stasi als Informant gedient zu haben. Es stellte sich allerdings heraus, dass Ducke nicht zu den 18 Mitarbeitern des FC Carl Zeiss Jena zählte, die bei der Stasi berichtet hatten. Er war vielmehr von anderen Informanten abgeschöpft worden.
Und wie sieht es heute mit Peter Ducke und dem Fußball aus? Ins Stadion nach Jena geht er so gut wie gar nicht mehr. Der Klub spielt nur noch in der vierten Liga, in der Regionalliga Nordost. "Der Abstieg des Ostfußballs ist eine Tragödie", sagt er. "Es ist alles kaputt. Erledigt. Tot."
Ein paarmal im Jahr bekommt er als ehemaliger DDR-Nationalspieler vom Deutschen Fußball-Bund Karten für Länderspiele. Aber da machte er sich nicht wirklich beliebt, als er jubelte, nachdem die Mannschaft der USA gegen eine jämmerlich spielende deutsche Auswahl den Siegtreffer erzielt hatte.
Dass sein heutiges fußballerisches Idol, der Argentinier Lionel Messi vom FC Barcelona, mehr als 100 Millionen Euro im Jahr verdient, findet Ducke absurd. "Wie viel Nullen sind das?", fragt er. Er bekomme "eine sehr gute Rente", knapp 2000 Euro im Monat. "Das reicht", sagt er. "Alles wunderbar." Peter Ducke ist mit sich im Reinen. "Der Fußball", sagt er, "hat mir alles gegeben."
Quelle:
https://www.spiegel.de/spiegel/peter-du ... 41035.html
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