Das Massaker beim Supernova-Sukkot-Gathering-Festival im Kibbuz Re'im, bei dem Terroristen der Hamas mindestens 260 Menschen getötet und vermutlich mehr als 100 entführt haben, ist gut zwei Wochen her, doch bisher haben sich bis auf wenige Ausnahmen kaum große Berliner Clubs geäußert. Auch im Rest der Szene ist es auffallend still. Eigentlich untypisch. Bei den Angriffen auf Clubs etwa in Tiflis hatten sich noch viele DJs solidarisiert. Woher kommt das Schweigen? Jakob Baier forscht an der Universität Bielefeld unter anderem zum Thema Antisemitismus in subkulturellen Milieus.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/club ... -1.6292615...
Bislang haben sich nur einige wenige Clubs wie "://about blank" und Holzmarkt zur Gewalt geäußert. Warum verweigert eine sich als inklusiv verstehende Clubszene den Juden die Solidarität, wenn diese verfolgt werden?
Ich frage mich, ob sie sich des Antisemitismus-Problems ernsthaft bewusst sind. Einen solchen Eindruck gewinnt man zumindest auf vielen Partys. Dort hängen Awareness-Flyer, auf denen steht: "Wir tolerieren keine Form von Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit, Homophobie." Und was fehlt? Antisemitismus. Jüdinnen und Juden sind die am längsten und gewaltvollste verfolgte Minderheit in der Geschichte, zumal in der deutschen. Aber die dezidierte Ablehnung dieser menschenfeindlichen Ideologie fehlt auf diesen Flyern. Es gibt also augenscheinlich einen blinden Fleck bezüglich des Antisemitismus.
Woran liegt das?
Zum einen verstehen sich Clubs als links, weltoffen und antirassistisch. Dieses Selbstverständnis, verstärkt durch das Gefühl, grundsätzlich auf der moralisch guten Seite zu stehen, kann eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit antisemitischen Ressentiments im eigenen Milieu erschweren. Zum anderen wird Antisemitismus fälschlicherweise häufig als eine Form von Rassismus subsumiert. Es wird also erklärt: Wir sind ja gegen Rassismus und deswegen auch gegen Antisemitismus. Aber antisemitisches Denken erfolgt entlang anderer psychodynamischer Prämissen. Zwar sind Rassismus und Antisemitismus in ihrer historischen Entwicklung eng miteinander verwoben. Anders als beim Rassismus geht Antisemitismus jedoch nicht nur mit der Vorstellung einher, dass Juden minderwertig sind, sondern sie erscheinen auch zugleich als übermächtig. Das ist die Ambivalenz, die den Antisemitismus kennzeichnet. Wenn man aber sagt: "Wir sind ja gegen den rassistischen Antisemitismus", dann betrifft dies nur eine Dimension des Antisemitismus. Und dabei geraten die Erscheinungsformen aus dem Blick, die nicht dem völkischen Rasseantisemitismus entsprechen - insbesondere der verschwörungsideologische, muslimische und der israelbezogene Antisemitismus. Das erklärt den blinden Fleck bezüglich der heute virulentesten Formen des Antisemitismus. Davon abgesehen haben die Leute auch einfach Angst. Ich muss sagen, dass ich das Statement der Clubkommission am Ende für ziemlich mutlos hielt.
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Gerade der Slogan "Free Palestine" ist aktuell allgegenwärtig.
Dieser "Free Palestine"-Aktivismus, den man schon kurz nach den Anschlägen in sozialen Medien beobachten konnte, ist popkulturell aufgeladen. "Free Palestine" ist nicht nur eine beliebige Maxime. Die Formel fungiert in bestimmten linken Milieus als kultureller Code, hinter dem sich ein ganzes Bündel an Haltungen verbirgt. Vor einigen Jahren veröffentlichte das Kollektiv "Room 4 Resistance" ein Statement, in dem sie sinngemäß sagten: Wir verstehen uns als queerfeministisch, transpositiv, sexpositiv, antifaschistisch, antikolonialistisch, antikapitalistisch, Anti-Apartheid - und eben deswegen sind wir für die Belange der Palästinenserinnen und Palästinenser. Das zeigt, dass eine solche Parteinahme in diesen subkulturellen Milieus projektiv mit einem ganzen Wertekanon beladen ist.
Gut so einen Wertekanon traue ich jetzt nicht unbedingt den Fußballern zu die sich mit "free palestine" solidarisierten. Zeigt aber auch das es nicht einfach eine Parole ist die die Freiheit Palästinas fordert.