Bevor sich Red Bull für Leipzig entschied, hatte der Konzern drei weitere Standorte in Erwägung gezogen. Der linksalternative FC St. Pauli sollte übernommen werden. Mit lustigen Argumenten.
Zwei Mittelsmänner waren an den Fußballklub herangetreten und hatten das Interesse eines Konzerns hinterlegt: Ob man sich nicht mal treffen und austauschen könne? Im Raum stand ein großes Sponsoring, wie die überraschten Vereinsvertreter erfuhren. Dem Klub ging es sportlich wie wirtschaftlich schlecht, die Unterstützung durch finanzstarke, überregionale Partner tendierte in der unteren Tabellenhälfte der Regionalliga gegen null. Wenige Wochen später traf man sich mit drei Marketingleuten des Unternehmens, darunter der Verantwortliche für den deutschen Markt, auf der Reeperbahn.
Wenn es am Sonntag am Millerntor zum Zweitligaspiel zwischen dem FC St. Pauli und RB Leipzig kommt, ist es nicht die erste Begegnung zwischen dem Kiezklub und Red Bull in der Hansestadt. Am Anfang steht das Meeting vor achteinhalb Jahren: Der Brausemulti hatte zu Tisch gebeten, und auf der Speisekarte stand der Klub selbst. Red Bull, so unvereinbar das klingt, wollte den FC St. Pauli kaufen.
Mit dem FC Red Bull St. Pauli in die Bundesliga
Dass es kein gewöhnliches Sponsoring war, das die Österreicher da am Millerntor anstrebten, war der braun-weißen Abordnung schnell deutlich geworden. Auf der Suche nach bestmöglichen Rahmenbedingungen für ihren geplanten Red-Bull-Fußballklub in Deutschland hatten die von Unternehmer Dietrich Mateschitz ausgesandten Strategen nach intensiver landesweiter Fahndung vier Standorte ausgemacht: München, Düsseldorf, Leipzig – und St. Pauli. Nun ging es darum, Voraussetzungen und Bereitschaft bei den einzelnen Vereinen auszuloten.
So erfuhren die St. Paulianer, nachdem grundsätzliche Marketingmöglichkeiten ausgetauscht wurden, dass Red Bull bei einer Übereinkunft keineswegs nur einer von vielen Sponsoren sein wolle. Es könne nur der Red-Bull-Weg gegangen werden: talentierte Sportler zu Red-Bull-Athleten machen, eigene Sportarten erfinden, wie in der Formel 1 ein eigenes Team aufbauen – oder eben einen Fußballklub. Spannend, aber auf St. Pauli nicht umsetzbar.
Die Vereinsvertreter äußerten ihre Bedenken, verwiesen auf die große und mächtige Fanszene, die sich bereits eineinhalb Jahre zuvor mit den Anhängern von Austria Salzburg solidarisiert und gegen die Übernahme von deren Verein protestiert hatte. Im Sommer 2005 okkupierte Red Bull die Austria und änderte neben dem Namen in FC Red Bull Salzburg auch noch Wappen und Vereinsfarben. Nun sollte Ähnliches ausgerechnet beim basisdemokratischen FC St. Pauli geschehen, der Klub dafür aber mit großen Investitionen aus der Regionalliga Nord in die Spitzengruppe der Bundesliga geführt werden.
„Coolness, Party, feiern und so“
Die radikalen Unterschiede in der Wertschätzung von Vereinsleben, Fußballkultur und Tradition sahen die fußballfremden Red-Bull-Mitarbeiter nicht. Mit Sätzen wie: „Ihr steht doch auch für Coolness, Party, feiern und so“, wurden vielmehr vermeintliche Gemeinsamkeiten bemüht. Die linksalternative Klubattitüde schien die hippen Werber eher anzuziehen als abzustoßen.
„Ich hatte damals schon gehört, dass sie Hamburg und unseren FC St. Pauli für einen guten Standort hielten“, erinnert sich der spätere Klubpräsident Stefan Orth, damals noch als Vize im Amt und nicht in die Gespräche involviert. „Für mich und auch die meisten anderen war aber von Beginn an klar, dass wir nicht zusammenkommen würden. Das Thema schaffte es nicht mal in die Präsidiumssitzung. Für den FC St. Pauli konnte und kann das kein Weg sein.“
Widerstand bei Fortuna Düsseldorf
St. Pauli blieb eigenständig, Red Bull meldete sich nicht mehr und zog weiter – ohne dass die Öffentlichkeit Notiz nahm. Ähnlich wie bei Zweitligist 1860 München, der seine Zukunft ebenfalls ohne Red Bull plante, um sich vier Jahre später einen jordanischen Investor in den Klub zu holen.
In Düsseldorf dagegen wurde das Werben öffentlich, und der Protest folgte umgehend. Die Mehrheit der Fortuna-Fans und -Mitglieder sprach sich im Mai 2007 gegen ein Engagement des milliardenschweren Brauseherstellers aus, nachdem Red Bull konkret die Mehrheit von 50+1 Prozent sowie die Umbenennung in Red Bull Düsseldorf oder – auf Geheiß des beratenden Rechtsanwalt Christoph Schickhardt – zumindest Fortuna Red Bull Düsseldorf gefordert hatte.
Mateschitz ändert sein Beuteschema
Das Nein aus Hamburg, München und Düsseldorf konnte Mateschitz’ grundsätzlichen Plan nicht verhindern. Der Selfmade-Milliardär verfolgte längst eine kleinere Lösung. Auch Gedankenspiele über einen möglichen Standort Berlin wurden intern schnell wieder verworfen. „Einen solch großen, traditionellen Klub wie etwa den FC Bayern dürften wir im Rahmen unserer Philosophie nicht einmal geschenkt nehmen“, sagte er Ende April 2007 in einem Interview mit der „Welt“, „den FC Bayern in Red Bull Bayern umbenennen zu wollen wäre absurd und unglaubwürdig. Selbst bei Fortuna Düsseldorf gäbe es da zu Recht Bedenken. Je etablierter und traditioneller ein Klub ist, umso weniger ist er für uns interessant. Der schlechteste Klub, dessen Name in den vergangenen sieben Jahren fünfmal geändert wurde und der eine Minute vor dem Konkurs steht, ist uns lieber als Real Madrid.“
Und so wanderte Red Bull ein paar Ligen abwärts nach Osten. „In Leipzig wollte man uns wirklich. Wir haben in dieser schönen Stadt keinen getroffen, der nicht von unseren Plänen begeistert war“, erinnerte sich Markus Egger, damals als General Manager Soccer bei Red Bull angestellt. Vor allem aber lockten die zentrale Lage mitten in Deutschland und eine Stadt mit einer halben Million Einwohner, Autobahn, Flughafen und schlüsselfertigem, aber kaum gebrauchtem WM-Stadion. Eine Stadt, die seit 1998 keinen Profifußball mehr erlebt hatte.
RB Leipzig träumt vom vierten Aufstieg
2009 gründete Mateschitz hier seinen Klub, erwarb abseits des DFB-Zuständigkeitsbereichs für 350.000 Euro das Oberliga-Startrecht des Vorortvereins SSV Markranstädt und machte sich aus der fünften Liga auf, um mit dem hochprofessionell geführten, nachhaltig strukturierten, aber von vielen Fans kritisierten RB Leipzig den deutschen Fußball zu erobern. Nach insgesamt drei Aufstiegen, die letzten 2013 und 2014, könnte in diesem Sommer sogar noch der Sprung in die Bundesliga glücken. Bis 2023, vor Mateschitz’ 80. Geburtstag, soll die Meisterschaft gefeiert werden.
Fünf Punkte trennen die Sachsen nur noch vom Relegationsplatz drei. Während St. Pauli 2010 auch ohne die Millionen aus Österreich den Sprung in die Bundesliga schaffte, aktuell aber wieder an der Schwelle zur Drittklassigkeit steht, sind die Leipziger und Red Bull hoffnungsfroh, am Sonntag einen weiteren Schritt in Richtung Bundesliga zu gehen und einen Auswärtssieg zu landen. Schließlich steht St. Pauli ja für Party und feiern und so ...
Quelle: Die Welt/SID Sport
https://www.welt.de/sport/fussball/2-bu ... aufen.html