„Lauf endlich, du scheiß Kack-Mongo!“: An der Gewalt im Jugendfußball sind Eltern und Trainer schuld
Frank Bachner
4-5 Minuten
Ein 16-jähriger französischer Fußballspieler schlägt seinen 15-jährigen Gegenspieler aus Berlin so brutal, dass der 15-Jährige starb. Ein fürchterlicher Vorfall. Ein erschütternder. Ein tragischer. Aber überraschend? Überraschend war er nicht. Überraschend in ihrer Dramatik war nur die Folge der Schläge.
Gewalt – verbale und körperliche – ist seit langem Alltag im Fußball, bei den Jugendlichen ebenso wie bei den Männern. Bei einem B-Jugendspiel in Tempelhof stach ein Zuschauer mit einem Messer auf den Trainer des SD Croatia ein, außerdem attackierte der Täter auch noch einen Angehörigen eines Croatia-Spielers mit seinem Messer. Das war 2012.
Wie Eltern ihre Kinder beim Jugendfußball aufhetzen
Jagdszenen sind am jedem Wochenende auf den Fußballplätzen zu sehen. Und der Kreis der Täter ist immer gleich: Zuschauer, Eltern, Spieler, Trainer, Funktionäre. Alle wirken mit. Eltern hetzen ihre Kinder auf und fordern von ihnen „Hau ihn um“.
Überehrgeizige Trainer verlieren Maß und Verstand und brüllen Zehnjährige zusammen, wenn die ein Spiel verlieren. Ein Seniorenspieler, 70 Jahre alt, griff bei einem Laufduell einem gleichaltrigen Senior in den Schritt, um ihn zu stoppen. Und die Kinder und Jugendlichen, von sogenannten Vorbildern angestachelt, also ihren Eltern, leben Gewalt auf dem Platz aus.
Übelste Beleidigungen sind ohnehin Alltag. „Ich ficke Deine Mutter“ – das ist Standard. Die Kinder und Jugendlichen kopieren oft genug nur, was sie auf dem Schulhof hören oder sogar in abgewandelter Form von ihren Eltern. Eine Mutter brüllte vor Dutzenden Zeugen ihrem zehnjährigen Sohn entgegen: „Lauf endlich, du scheiß Kack-Mongo!“
In Neukölln war ein Verein derart berüchtigt, dass Trainer gegnerischer Mannschaften überlegt hatten, den Verein kollektiv zu boykottieren. Sie haben es nicht gemacht – aber der Verein stand kurz davor, dass ihn der Verband aus dem Spielbetrieb nehmen würde.
Frank Bachner ist seit vielen Jahren Jugendfußballtrainer bei Viktoria Lichterfelde und Redakteur beim Tagesspiegel.
Fair Play im Fußball: Lösungen gäbe es – theoretisch
Lösungsmöglichkeiten? Auf dem Papier gibt es viele. Der Berliner Fußballverband hat klare Regeln aufgestellt, er wirbt mit „Fair Play“-Plakaten und Flyern, er verlangt, dass Eltern und andere Zuschauer nur mit Abstand ein Spiel verfolgen dürfen. In der Trainerausbildung wird großer Wert auf einen empathischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen gelegt.
Und die Praxis? Da stehen Eltern am Spielfeldrand, stürmen auf den Schiedsrichter, wenn der nicht in ihrem Sinne pfeift, da brüllen Trainer die Kinder im Training bereits an wie Feldwebel bei der Bundeswehr.
Jetzt ist die Aufregung, die Trauer, das Entsetzen groß, völlig zu Recht. Aber viele dieser Menschen, die jetzt voller Anteilnahme an die Eltern des toten Spielers und weiterer Angehörige denken und mittrauern, die stehen am nächsten Wochenende wieder am Platz und provozieren die nächsten Gewaltvorfälle – verbal oder sogar körperlich.
Verhindern könnte das alles der gesunde Menschenverstand. Aber der setzt vor allem beim Jugendfußball bei vielen verlässlich und regelmäßig aus.
Der frühere Vizepräsident des Berliner Fußballverbands hatte mal eine interessante Maßnahme vorgeschlagen. „Man sollte die Eltern am Spielfeldrand mal mit Video aufnehmen und ihnen später ihr eigenes Verhalten vorspielen.“ Das wirkte, ganz sicher. Für ein paar Augenblicke. Das Ende der Wirkung ist allerdings auch klar terminiert: das nächste Spiel.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/lauf ... 02531.html