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Fratelli d'Italia
Vialli über Mancini
6 - 8 minutes
Nach dem knappen und überraschend hart umkämpften Achtelfinale gegen Österreich standen sich die beiden gegenüber wie ein siegreiches Tennis-Doppel: die Arme weit ausgebreitet, die Fäuste geballt, die Münder maximal aufgerissen. Kein Außenstehender weiß, was in diesem Moment in Italiens Trainer-Duo vorging. Doch man kann es sich ausmalen: Freude. Erleichterung. Vielleicht auch eine Portion Dankbarkeit. Und natürlich Hoffnung. Auf mehr.
Das furiose Comeback des italienischen Fußballs trägt einen, nein zwei Namen: Roberto Mancini (56) und Gianluca Vialli (56). Das Duo, das die „Squadra Azurra“ bei der EM von Sieg zu Sieg führt, ist das vielleicht eingeschworenste Trainer-Gespann aller Zeiten. Seit fast 40 Jahren sind die beiden befreundet oder, besser: verbrüdert. Die großartige Gazzetta dello Sport taufte Mancini und Vialli einst „Die Tor-Zwillinge“, weil sie sich bei Sampdoria Genua blind verstanden – auf und neben dem Platz. Rund 200 Tore schossen sie gemeinsam zwischen 1984 und 1992 für die „Samp“. Der steinreiche Klubbesitzer Paolo Mantovani war derartig begeistert, dass er seine beiden Hunde umtaufte – in „Roby“ und „Luca“. Dank Mancini und Vialli gewannen die Genovesen dreimal den nationalen Pokal, den Europacup der Pokalsieger (1990), die italienische Meisterschaft (1991) und beinahe den Europapokal der Landesmeister (1992), wo Genua erst in der Verlängerung des Finales am FC Barcelona scheiterte.
„Mancini ist mein Held, seit ich 14 bin
„Roberto Mancini ist mein Held, seit ich 14 bin“, verriet Vialli im Vorfeld der Europameisterschaft gegenüber dem italienischen TV-Sender RAI. Beide stammen aus Nord-Italien – Vialli aus Cremona, Mancini aus Bologna. Das erste Treffen fand jedoch in Coverciano statt, jener legendären Sportschule am Rande von Florenz, in dem Italiens Junioren-Nationalteams schon damals ihre Lehrgänge abhielten. Als der gerade volljährige Mancini 1982 vom FC Bologna zur aufstrebenden Sampdoria wechselte, schwärmte er seinem „Fratello“ (Bruder) solange vom Fußball und vom Leben in der Hafenstadt vor, bis der 1984 ebenfalls dort anheuerte. „Roberto hatte seinen Fuß bei meinen Toren mit im Spiel, ich hatte meinen Fuß bei seinen Toren im Spiel“, so Vialli, der nach acht gemeinsamen Jahren zum reichen Rekordmeister Juventus abwanderte. Doch die „Bromance“ blieb bestehen. Bis heute.
Das Geheimnis der Freundschaft von Roberto Mancini und Gianluca Vialli liest sich wie ein Handbuch für den fußballerischen Team-Erfolg: „Wir haben uns nie gegenseitig um etwas beneidet“, so Vialli, „außerdem haben wir immer alles in den Dienst der Mannschaft gestellt. Es hilft kolossal, wenn du Teamkollegen hast, auf die du dich auf und neben dem Platz in jeder Sekunde verlassen kannst.“ Selbst dann, wenn es um Leben und Tod geht. Als Vialli 2018 die Schockdiagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhielt, war der alte Freund und Fratello eine seiner wichtigsten Stützen. Nach OP und Reha bot der zum Nationaltrainer aufgestiegene Mancini dem Rekonvaleszenten das Amt als weiterer Co-Trainer neben Attilio Lombardo an.
„Ich kann meinen Weg fortsetzen, auch mit dem Krebs“
Auch wenn es niemand laut aussprach oder schrieb: Damals sahen viele darin eine persönliche Gefälligkeit, manche sogar eine Art Gnadenakt. Tatsächlich aber war die Berufung Viallis der Ausgangspunkt für Italiens ganz großen Triumphzug. Zu Mancini, dem hoch geachteten Hirn des Trainerstabs, war nun ein grandioses Kämpferherz gekommen, das einfach immer weiter schlägt – egal, was auch passiert. „Ich kann den Krebs nicht bekämpfen, weil ich diesen Kampf niemals gewinnen könnte“, lautet Gianluca Viallis Mantra. „Aber ich kann meinen Weg fortsetzen, auch mit dem Krebs.“
Wenn man vor so einem Gegner nicht in die Knie geht – wen soll man dann noch fürchten? Dachten sich wohl auch die „Azzurri“ und übernahmen Viallis Mix aus Zuversicht und Todesverachtung in ihre Spielweise. Italien ist seit fast drei Jahren beziehungsweise 31 Länderspielen unbesiegt. Dabei geriet die mit tausend Beinen verteidigende, aber keineswegs übertalentierte „Squadra“ immer wieder in kritische Situationen – wie zuletzt gegen Österreich. Doch brutale Entschlossenheit und ein ordentlicher Schuss Mut wie bei Federico Chiesas Traumtor zum 1:0 halfen ihr stets aus der Patsche.
Mit Widerständen, das hat Gianluca Vialli seine Schützlinge gelehrt, musst du umgehen. „Der Krebs“, so erklärte der Kahlkopf kürzlich, „ist ein unerwünschter Reisebegleiter, der einfach zu mir in den Zug gestiegen ist. Ich muss mit gesenktem Kopf weiterfahren und darf niemals aufgeben, immer in der Hoffnung, dass dieser ungebetene Gast eines Tages müde wird und mich einfach wieder verlässt. Denn es gibt noch so viele Dinge in diesem Leben, die ich schaffen möchte.“ Punkt Nummer 1 auf der To-do-Liste: Heute im Viertelfinale die Belgier schlagen. Und dann noch ein, zwei weitere Siege bei diesem Turnier.
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Fratelli d’Italia
Fratelli d’Italia
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie