Doppelwumms gegen den Fifa-Boss

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erpie
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Doppelwumms gegen den Fifa-Boss

Beitrag von erpie »

Funktionäre! :wuerg:
Im Angesicht des neuen Jahres geht es Gianni Infantino wie manchem deutschen Ampel-Politiker: Er sieht sich von der Realität umzingelt. Kurz vor Silvester kippten Frankreichs Verfassungsrichter eine Steuerbefreiung für den Fußball-Weltverband und dessen Bedienstete, was nun den geplanten Teil-Umzug der Fifa nach Paris torpedieren könnte. Und schlimmer: Zeitgleich muss der Fifa-Chef Infantino auch ein Lieblingsprojekt stoppen - die alleinige Kontrolle über das milliardenschwere globale Transfergeschäft. So bleibt dem Fußball im neuen Jahr nur Altvertrautes erhalten: die Pannen-Chronik des Affären-Funktionärs an der Spitze. Jetzt gleich mit Doppelwumms.

Den Umzug vieler Bediensteter nach Paris hatte die Fifa schon seit 2021 in Angriff genommen. Denn für die gut besoldeten Fußballverwalter waren auf höchster Ebene im Élysée-Palast üppige Steuergeschenke eingefädelt worden: die Befreiung des Verbandes von der Körperschaftssteuer und anderer Abgaben wie der Unternehmens-Mehrwertsteuer. Überdies sollten Fifa-Bedienstete, die in Frankreich gemeldet sind, fünf Jahre lang keine Einkommensteuer zahlen. Paradiesische Verhältnisse für eine superreiche Sportorganisation, die der Pariser Verfassungsrat nun humorfrei mit Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz für Steuerpflichtige aus dem Haushalt 2024 strich. Das begrüßten viele Politiker, der republikanische Senator Francis Szpiner etwa wunderte sich in der Tageszeitung Le Monde: "Ich verstehe gar nicht, wie dieser verfassungswidrige Änderungsantrag zustande kam." Jeder Jurastudent hätte der Regierung doch erklären können: "Tut es nicht!"
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Insofern offenbart das höchstrichterliche Urteil einmal mehr, wie sich die Weltsport-Verbände unter ihrem öfter mal straffälligen Spitzenpersonal so gerne sehen: als supranationale Institutionen, die faktisch über den Nationalstaaten stehen. Und über nationalem Recht, als eine Art Weltregierung des Sports.

Hintergrund des gescheiterten Steuer-Drehs in Frankreich ist das Bestreben von Staatspräsident Emmanuel Macron, die großen Weltsportverbände nach Frankreich zu locken. Die Fifa sollte wenigstens einen Teil ihrer Aktivitäten zurück nach Paris verlegen, wo die Organisation 1904 gegründet worden war - wie zehn Jahre zuvor, anno 1894, auch das Internationale Olympische Komitee (IOC). Macron verhandelte schon Ende 2018 inmitten der "Gelbwesten"-Krise und den landesweiten Protesten gegen seine Politik mit dem damaligen Männerfreund Infantino über einen Teilumzug der Fifa, die ja seit 1932 im schweizerischen Zürich residiert.

Dann, Mitte 2021, siedelten die ersten Fifa-Leute nach Paris über, ins renommierte Hôtel de la Marine an der Place de la Concorde, das dem Emir von Katar gehört. So funktionierte (während einige Blocks weiter die Finanzstaatsanwaltschaft seit 2016 Strafermittlungen wegen Privatkorruption und des Verdachts auf Bildung einer "kriminellen Vereinigung" rund um die Vergabe der WM 2022 an Katar führt) die sportpolitische Beziehungsschiene Fifa-Doha-Élysée einfach weiter wie geölt.
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Ein bisschen Weltregierung spielen, über den Umweg des Sports: Das ist der fixe Wunschtraum aller Verbandsgranden von Infantino bis zu IOC-Chef Thomas Bach. Gerne geben sie sich als Weltfriedens-Apostel, ständig wird an den Vereinten Nationen und deren Ablegern herumgebaggert. Insofern setzen Frankreichs höchste Richter nun auch international ein Zeichen, wenn sie ihrem Sport-versessenen Staatschef in den Arm fallen.

Für die Funktionäre ist das besonders misslich, sie haben sich Frankreich als neuen Hotspot ausersehen. So will Bach in der Jubelblase rund um die Spiele in Paris die letzte Chance nutzen, den Umschwung in seiner von Doping-, Staats- und Korruptionsaffären geprägten Amtszeit zu schaffen. Jüngst bei der IOC-Session im Herbst in Mumbai/Indien ließ er sich sogar die Option sichern, dass die Olympische Charta für eine Lex Bach ausgehebelt werden könnte, um ihm eine weitere Amtszeit zu verschaffen - auch darüber soll das IOC in Paris entscheiden.
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Für Infantino ist Frankreich wohl der letzte Hoffnungsanker in Europa. Bisher konnte er mit Umzugs-Drohungen an die Seine die wachsende Kritikerschar in der heimischen Schweiz ein wenig zügeln (wo die Fifa als Verein nach Schweizer Privatrecht Steuervorteile genießt: Nur zwölf Prozent sind abzuführen). Allerlei Strafermittlungen, die sich über Jahre zogen, sowie der auch in der Bevölkerung zunehmend desaströse Ruf haben offenbar dazu beigetragen, dass der Fifa-Boss zum Supertramp des Weltfußballs wurde. Erst zog sich Infantino samt Familie nach Katar zurück, ins WM-Veranstalterland 2022, mittlerweile wird er in Miami verortet. Die USA sind Veranstalter des nächsten WM-Turniers 2026. Demnächst soll auch eine Abteilung der Fifa nach Florida umsiedeln. Immerhin, die einst ebenfalls angedachte Auslagerung von Personal nach Moskau hat der russische Krieg gegen die Ukraine vereitelt.

Allerdings ist Macrons Frankreich kein Bundesgenosse, den Infantino einfach mal fallen lassen kann, weil nun der Verfassungsrat die Steuerwünsche torpediert hat. Denn da gibt es noch eine zweite Baustelle, die er ins neue Jahr nimmt. Die Fifa wollte ab Oktober 2023 über ein eigens gebasteltes Spielerberater-Reglements (FFAR) die Alleinkontrolle über das globale Transfergeschäft ausüben. Da werden jährlich bis zu sieben Milliarden Euro umgesetzt, der Löwenanteil in Europa - und die enormen Geldflüsse sollen über eine eigene Zahlstelle laufen. Direkt bei der Fifa, und zwar, voilà: in Frankreich! Infantinos Affären-gestähltem Verband ist es gelungen, eine Banklizenz in Paris zu ergattern; das wäre selbst in der Banken-freundlichen Schweiz nicht gestattet worden.
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Auch diese Nummer hat die staatliche Justiz, eine Art natürlicher Gegner der Weltsportverbände, durchkreuzt. Wie in anderen europäischen Ländern, wurde auch in Deutschland die Anwendung des Beraterreglements vorläufig untersagt, und damit der Zugriff aufs globale Transfergeschäft. Im Mai hat das Landgericht Dortmund im neuen FFAR Verstöße gegen das Kartellrecht konstatiert und per einstweiliger Verfügung festgehalten, dass weder die Fifa noch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) als nationaler Stellvertreter das neue Vermittlerrecht umsetzen oder anwenden dürfen. Monate später rügten die Richter, dass sich Fifa und DFB nicht wirklich daran hielten - und brummten beiden Ordnungsgelder von jeweils 150 000 Euro auf.
https://www.sueddeutsche.de/sport/fifa- ... -1.6326914
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie