Was lest ihr.....

Acker1966

Re: А Я - НЕ МОСКАЛЬ!

Beitrag von Acker1966 »

Txomin_Gurrutxaga hat geschrieben: Dienstag 3. November 2020, 19:37
Hoellenvaart hat geschrieben: Dienstag 3. November 2020, 00:05 das buch wurde kult und manifest der schweizer antibürgerlichen bewegung in den späten 70er und 80er jahren.
Es gab in der Schweiz eine antibürgerliche Bewegung? :wtf: :shock:

In der Deutschschweiz auch? :mrgreen:
In Wirklichkeit gibt es aber kein solches sagenhaftes Moskau, wo alles immer noch schwärzer sein soll als an dem Ort, wo man sich zur Zeit gerade befindet.
Papperlapapp.

https://www.youtube.com/watch?v=vzsv2rWhHcU
Christian Kracht hat mal eine sowjet republik in der Schweiz beschrieben. Großartiger Autor übrigens.

https://g.co/kgs/xdwbHv
Benutzeravatar
Txomin_Gurrutxaga
Poweruser
Beiträge: 1990
Registriert: Sonntag 28. April 2019, 10:44
Wohnort: Diaspora
Lieblingsverein: BSG Aktivist

Zwaartekracht

Beitrag von Txomin_Gurrutxaga »

Acker1966 hat geschrieben: Mittwoch 4. November 2020, 11:43 Christian Kracht hat mal eine sowjet republik in der Schweiz beschrieben. Großartiger Autor übrigens.
Danke. Kannte bisher nur Torsten, den Bochumer Ossi.

Großartiger Buchtitel übrigens. Wirkt inhaltlich freilich arg wirsch. Wird im Falle eines Falles eher auf "Faserland" oder "Imperium" rauslaufen (glaube unverdrossen an ein weißrussisches Weißrussland - und das liegt utopietechnisch wesentlich weiter weg als Engelhardts Kokosnussphantasien :?).

BTW: immer wieder spannend, verblüffend, ernüchternd uvm... da gibt es tonnenweise Rezeption zum Œuvre von Leuten, deren Namen ich noch nie gehört habe!
Ніхто не зламає націю, чий дух був викований у століттях боїв.

Prší a venku se setmělo, tato noc nebude krátká!

Wir sind Verteidiger des wahren Blödsinns, Krieger in schwarz-rosa-gold.
Benutzeravatar
Txomin_Gurrutxaga
Poweruser
Beiträge: 1990
Registriert: Sonntag 28. April 2019, 10:44
Wohnort: Diaspora
Lieblingsverein: BSG Aktivist

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Txomin_Gurrutxaga »

Bild

Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie zum letzten Mal mit Hannes geschlafen hatte. So viel wie er trainierte, fiel er abends wie ein Stein ins Bett. Hin und wieder drückte er ihr einen hartlippigen Kuss auf die Stirn oder die Wange, der ihr eher das Gefühl gab, er wolle sie von sich wegstoßen, als sie liebkosen, ein als Kuss getarnter Schubser. Manchmal, wenn sie sicher war, dass er schlief, masturbierte sie neben ihm im Bett, oder drüben im Badezimmer, auf dem dicken Teppich vor dem Waschbecken, hastig und verschämt, wie früher als Teenager, in ihrem kleinen Zimmer ohne Schlüssel.

Vor zwei Monaten noch hatte Hannes sie liebevoll Pralinchen genannt, mittlerweile schien ihm sogar dieser Kosename zu viele Kalorien zu enthalten. Nur seinetwegen stand sie jetzt hier und fühlte sich unförmig und schwabbelig, nur seinetwegen war sie es auch, weil er sie zu diesem naschhaften Leben verführt hatte. Mit seinen Vorträgen über die Wichtigkeit von Genuss ohne Reue, über seine Abscheu vor Salat und Proteinshake-Frauen. Mit Cannelloni und Caramel-Éclairs hatte er sie zu dem gemacht, was sie jetzt war: eine pummelige Damenschneiderin Ende dreißig, die ihre Kundinnen um hervorstehende Hüftknochen beneidete. Seit zwölf Jahren war sie nun mit ihm zusammen, und nie hatte er ihr einen Grund zum Zweifeln gegeben, immer war da dieser Pakt gewesen, das Versprechen, sich auch im hohen Alter noch eine Familienpackung Schokoladeneis vor dem Fernseher zu teilen, eine private Rebellion, sie und er, bewaffnet mit Marshmallows und Marlboro Lights gegen den genussfeindlichen Rest der Welt.

Bis zum Tag nach Hannes' vierzigstem Geburtstag. Er hatte es wie eine gute Nachricht klingen lassen: "Ich will mein Leben ändern."

Seither hatte er 25 Kilo abgenommen, gut sah er schon aus, keine Frage, nur sah er eben nicht mehr aus wie Hannes, mit diesen Bauchmuskeln und den sehnigen Armen, dem braungebrannten Teint. Es kam ihr vor, als wäre jeder Kilometer, den er auf dem Hometrainer zurücklegte, ein Kilometer Abstand zwischen ihnen, als wäre er weit weg auf Reisen, selbst wenn er mit ihr am Tisch saß, vor einer Schüssel Haferflocken mit Mandelmilch und Chiasamen, und vorwurfsvolle Blicke auf den Toast warf, den sie mit Marmelade bestrich. Obwohl sie bereits die Butter wegließ. Seit dem Tag nach seinem vierzigsten Geburtstag, an dem er das Nutellaglas auf ihre Seite des Tisches zurückgeschoben hatte, waren sie sich fremd geworden. Mit jedem Gramm Muskelmasse, das er zunahm, beging er ein Gramm Verrat an ihr, mit jedem Gramm Fett, das er verlor, schmolz er sich die gemeinsame Vergangenheit von den Rippen.
Ніхто не зламає націю, чий дух був викований у століттях боїв.

Prší a venku se setmělo, tato noc nebude krátká!

Wir sind Verteidiger des wahren Blödsinns, Krieger in schwarz-rosa-gold.
Acker1966

Re: Zwaartekracht

Beitrag von Acker1966 »

Txomin_Gurrutxaga hat geschrieben: Donnerstag 5. November 2020, 00:17
Acker1966 hat geschrieben: Mittwoch 4. November 2020, 11:43 Christian Kracht hat mal eine sowjet republik in der Schweiz beschrieben. Großartiger Autor übrigens.
Danke. Kannte bisher nur Torsten, den Bochumer Ossi.

Großartiger Buchtitel übrigens. Wirkt inhaltlich freilich arg wirsch. Wird im Falle eines Falles eher auf "Faserland" oder "Imperium" rauslaufen (glaube unverdrossen an ein weißrussisches Weißrussland - und das liegt utopietechnisch wesentlich weiter weg als Engelhardts Kokosnussphantasien :?).

BTW: immer wieder spannend, verblüffend, ernüchternd uvm... da gibt es tonnenweise Rezeption zum Œuvre von Leuten, deren Namen ich noch nie gehört habe!
Der Kokovare war doch sehr lustig. Faserland ist genial, am liebsten möchte man das Buch weglegen vor Ekel, aber dann liest man doch weiter.
Großartig auch 1979, dass mit der Nacht vor der islamischen Revolution beginnt. Da beschreibt und erzählt er fesselnd.
Eckfahnenfan

Trump-Tagebücher

Beitrag von Eckfahnenfan »

von Anonymus sind jetzt erschienen.
https://www.hoffmann-und-campe.de/buch- ... uch-14286/

Interessant auch deswegen, weil hier das andere Amerika zu Wort kommt.
Und zwar in einer Deutlichkeit und mit erfrischenden Respektlosigkeit, wie man sie hierzulande im Umgang mit gesellschaftlichen Größen aus Politik und Wirtschaft vergeblich sucht.

Beispiel Frank Sinatra, zu dessen 80. Geburtstag Trump 1995 eingeladen werden wollte.
Sinatras schriftlich Antwort:
"Sehr geehrter Herr Trump, vor langer Zeit bin ich mit ihrem Vater einmal angeln gegangen, und ich denke gern daran zurück. Allein aus diesem Grund gewähre ich Ihnen den Vorzug einer persönlichen Ausladung. Ich will Sie weder auf meiner Geburtstagsfeier noch sonst irgendwo sehen. Im Laufe der Jahre habe ich mehr von Ihnen und Ihrem Geschäftsgebahren gehört, als mir lieb ist. Wenn Sie auch nur einen Funken Anstand besäßen, wären sie gar nicht auf den Gedanken verfallen, sich selbst zu meiner Feier einzuladen. Ich glaube immer noch an den amerikanischen Traum. Ein Gauner wie Sie sollte nur in einem Alptraum vorkommen. Mit freundlichen Grüßen Frank Sinatra."

Johnny Cash, der 2001 auf der Geburtstagsfeier von Trump ein Konzert geben sollte:
"Sehr geehrter Herr Trump! Vielleicht werde ich für Sie spielen, wenn Sie im Folsom State Prison einsitzen, denn dort gehören Sie hin. Mit freundlichen Grüßen Johnny Cash."

Oder Mike Tyson, alter Geschäftspartner von Trump:
"Lieber Donald, wie ich höre, stört Dich der Slogan BLACK LIVES MATTER. Wenn Du ein paar Argumente hören willst, die für diesen Slogan sprechen, bringe ich sie Dir bei unserem nächsten Treffen mit. Sie nennen sich Jab, Cross, Aufwärtshaken, rechte Gerade und linker Haken. Ich schwöre Dir, dass Du die Welt danach mit anderen Augen sehen wirst, sobald Du wieder geradeaus gucken kannst. Im November werde ich Joe Biden wählen. Fahr zur Hölle. Mike"
Benutzeravatar
Depp72
Urgestein
Beiträge: 6834
Registriert: Montag 24. Juni 2019, 19:00

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Depp72 »

Die Krimi-Reihe um den Dresdner Oberkommissar Max Heller von Frank Goldammer finde ich bisher super interessant: https://www.dtv.de/special-frank-goldam ... ler/c-1841
Vor allem in Bezug auf die Zeitgeschichte - stimmungmäßig gibt es dafür von mir eine 1, aber auch was die Kriminalfälle angeht - notenmäßig über alle Bände hinweg eine 2 bis 2+. Bislang kenne ich die ersten vier Bände. Nr. 5 + 6 sind bereits erschienen.

Die Max-Heller-Reihe startet im Dresden der Nazi-Endzeit 1944/45 und soll laut Wilipedia bis zum Mauerbau 1961 und der Pensionierung des Kommissars laufen. Besonders stark aus meiner Sicht: Band 3 + 4 (Tausend Teufel / Vergessene Seelen), weil sie ganz viel Zeitgeschehen aus dem damaligen Alltag gedanklich nachvollziehbar machen, ohne dabei eindimensional zu sein. Und die außerdem jeweils auch noch eine gute Krimigeschichte Winter 1947 bzw. Sommer 1948 erzählen. Bei Band 1 ist aus meiner Sicht die Erzählung der Bombardierung Dresdens der stärkste Teil. Band 4 (spielt 1951) schwächelt im Hinblick auf den Kriminalfall an einigen Stellen, ist aber trotzdem noch ein gutes Buch. Und es zeigt auch den deutlichen Unterschied in der Versorgung mit Lebensmitteln auf.

Besonders stark finde ich die Reihe, wenn es um die Familie Heller und ihre Entwicklung geht. Die beiden Söhne bleiben zunächst anonym und geraten als deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Ihr Schicksal ist im ersten und zweiten Band unklar. Beide überleben letztlich. Der jüngere kehrt in die damals künftige DDR zurück und geht zur Stasi, der ältere landet in im damals künftigen Wirtschaftswunderland BRD. Dazwischen die beiden Eltern. Kommissar Max Heller, sein Assistent und auch sein Vorgesetzter sitzen oft zwischen den Stühlen. Die Russen bekommen ebenfalls eine Rolle. Und die ist zum Glück nicht eindimensional, aber selbstverständlich auch nicht der Schwerpunkt der Erzählungen.

Eine ähnliche Krimi-Reihe rund um den Hamburger Oberinspektor Frank Stave gibt es von Cay Rademacher. Dort finde ich den ersten Band ''Der Trümmermörder'' (nach einer wahren Begebenheit) zwar grundsätzlich sehr stark, vor allem die Erzählung rund um die damalige Kältewelle und die Schwierigkeiten im Alltag, aber die Reihe insgesamt deutlich schwächer als die von Goldammer. Sowohl in Bezug auf die Art, wie Zeitgeschichte erzählt wird als auch auf die Krimihandlung. Vielleicht liegt die Bevorzugung aber auch an mir? Denn ich bin sehr gern in meiner Stadt unterwegs, allerdings noch lieber in anderen. The grass on the other side is always greener?

Zum Autor Frank Goldammer: https://buechermenschen.de/interview/bm ... goldammer/
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

Mal kein Buch

Beitrag von Hoellenvaart »

"In jeder zweiten Nacht kommen die Gespenster"

Peter-Jürgen Boock war in den Siebzigerjahren eine der zentralen Figuren der Terrororganisation RAF und an mehreren Morden beteiligt. Wie erklärt er sich heute, was damals geschah? Und wie lebt er mit seiner Schuld?

Interview: Moritz Aisslinger und Stephan Lebert
ZEITmagazin Nr. 48/2020 18. November 2020


https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/4 ... geschichte

ein sehr interessantes und ausführliches interview, man könnte also mal 5,70 € für die printausgabe investieren oder bei jemandem das magazin schnorren. :mrgreen:

by the way:

1977 gründeten der BDA und der BDI die Hanns Martin Schleyer-Stiftung, die heute hauptsächlich junge Wissenschaftler im Bereich der Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften fördert. In Stuttgart-Bad Cannstatt wurde 1983 die Hanns-Martin-Schleyer-Halle eingeweiht. In vielen Städten Westdeutschlands wurden Straßen nach Schleyer benannt.

Schleyer schloss sich dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) an und fand im Heidelberger Studentenführer (und späteren Gauleiter) Gustav Adolf Scheel einen ersten wichtigen Mentor. Während der Auseinandersetzung um das Heidelberger Spargelessen, eine Reihe von gegen Hitler gerichteten Bekundungen Heidelberger Corpsstudenten, vertrat Schleyer entschieden den Standpunkt der Nationalsozialistischen Studentenschaft, deren Funktionär er wurde. Er trat am 1. Mai 1937 in die NSDAP ein (Mitglieds-Nr. 5.056.527) und wurde ab dem Sommersemester desselben Jahres Leiter des Heidelberger Studentenwerkes. 1938 beendete er sein Studium mit dem ersten juristischen Staatsexamen.

Am 1. April 1943 trat er als Sachbearbeiter in den Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren ein. Der Verband war unter anderem für die Arisierung der tschechischen Wirtschaft und die Beschaffung von Zwangsarbeitern für das Deutsche Reich zuständig. Hier wurde er später Leiter des Präsidialbüros und persönlicher Sekretär des Präsidenten Bernhard Adolf.

Aufgrund seines Ranges als SS-Hauptsturmführer wurde Schleyer drei Jahre lang in Baden interniert. Am 24. April 1948 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als Minderbelasteter eingestuft. Hiergegen legte Schleyer Widerspruch ein, im Revisionsverfahren wurde er im Dezember 1948 als Mitläufer eingestuft. Schleyer hatte bei seinen Angaben zur Person einen niedrigeren Dienstgrad angegeben, um das mögliche Strafmaß zu reduzieren: Anstelle seines Rangs als SS-Hauptsturmführer notierte er SS-Oberscharführer.


https://de.wikipedia.org/wiki/Hanns_Martin_Schleyer

nach diesem nazi sind immer noch straßen, eine stiftung und eine halle benannt, ein unfassbarer skandal.

:wuerg: :wuerg: :wuerg: :wuerg: :wuerg: :wuerg: :wuerg: :wuerg:
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Benutzeravatar
Depp72
Urgestein
Beiträge: 6834
Registriert: Montag 24. Juni 2019, 19:00

Re: Mal kein Buch

Beitrag von Depp72 »

Hoellenvaart hat geschrieben: Freitag 20. November 2020, 19:25 "In jeder zweiten Nacht kommen die Gespenster"

Peter-Jürgen Boock war in den Siebzigerjahren eine der zentralen Figuren der Terrororganisation RAF und an mehreren Morden beteiligt. Wie erklärt er sich heute, was damals geschah? Und wie lebt er mit seiner Schuld?

Interview: Moritz Aisslinger und Stephan Lebert
ZEITmagazin Nr. 48/2020 18. November 2020


https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/4 ... geschichte

ein sehr interessantes und ausführliches interview
Vorweg: ich habe es nicht gelesen und möchte (in dem Fall) auch nicht schnorren.

PJB dürfte alle zwei Sekunden seine Einschätzungen und Befindlichkeiten geändert haben, wenn ich die letzten drei Jahrzehnte Revue passieren lasse. Gänzlich unglaubwürdig macht ihn das trotzdem nicht. Er war immerhin dabei, ist ein Teil vom Ganzen. Aber: Wer würde die Geschichte der SPD ab 1997 bis 1999 nur von Gerhard Schröder oder nur von Oskar Lafontaine schreiben lassen? Und auch ohne das Interview gelesen zu haben: PJB, Oskar und Gerhard sind für mich nicht allzuweit auseinander- abgesehen vom Einkommen: Der Überlebensinstinkt trieb sie. Alle unstet und immer nur sich selbst treu. Zeitweise auch dem nächsten Partner, so lange er ihnen nützte. Trumpsche Frühgeschichte unter besondererer Berücksichtigung Deuschlands?
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

Re: Mal kein Buch

Beitrag von Hoellenvaart »

Depp72 hat geschrieben: Freitag 20. November 2020, 21:33
Hoellenvaart hat geschrieben: Freitag 20. November 2020, 19:25 "In jeder zweiten Nacht kommen die Gespenster"

Peter-Jürgen Boock war in den Siebzigerjahren eine der zentralen Figuren der Terrororganisation RAF und an mehreren Morden beteiligt. Wie erklärt er sich heute, was damals geschah? Und wie lebt er mit seiner Schuld?

Interview: Moritz Aisslinger und Stephan Lebert
ZEITmagazin Nr. 48/2020 18. November 2020


https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/4 ... geschichte

ein sehr interessantes und ausführliches interview
Vorweg: ich habe es nicht gelesen und möchte (in dem Fall) auch nicht schnorren.

PJB dürfte alle zwei Sekunden seine Einschätzungen und Befindlichkeiten geändert haben, wenn ich die letzten drei Jahrzehnte Revue passieren lasse. Gänzlich unglaubwürdig macht ihn das trotzdem nicht. Er war immerhin dabei, ist ein Teil vom Ganzen. Aber: Wer würde die Geschichte der SPD ab 1997 bis 1999 nur von Gerhard Schröder oder nur von Oskar Lafontaine schreiben lassen? Und auch ohne das Interview gelesen zu haben: PJB, Oskar und Gerhard sind für mich nicht allzuweit auseinander- abgesehen vom Einkommen: Der Überlebensinstinkt trieb sie. Alle unstet und immer nur sich selbst treu. Zeitweise auch dem nächsten Partner, so lange er ihnen nützte. Trumpsche Frühgeschichte unter besondererer Berücksichtigung Deuschlands?
ein merkwürdiges trio....
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

weiter leben

Beitrag von Hoellenvaart »

kein beitrag zum zustand von diesme forum, ich schwör.

die 1931 geborene jüdische literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger berichtet in einer eher nüchteren sprache von ihrer kindheit in wien und dem überleben in drei verschiedenen kz (theresienstadt, auschwitz-birkenau-buna und groß-rosen) sowie der flucht nach bayern kurz vor kriegsende und der emigration nach new york 1947 zusammen mit ihrer mutter, wo sie sich mit sehr bescheidenen mitteln zu einer unikarriere durchkämpft.

im gegensatz zu den kz-berichten anderer schriftsteller (insb. Primo Levi "ist das ist ein mensch?", Elie Wiesel "night" und Ernst Wiechert "der totenwald") werden nicht hauptsächlich und detailliert die tagesabläufe und grausamkeiten in den kz dargestellt, sondern es geht Ruth Klüger viel mehr um analysen und die suche nach gründen für den holocaust bzw. die frage, ob man überhaupt gründe dafür finden kann. das liegt vielleicht daran, dass dieses buch erst im jahr 1991 geschrieben wurde, also mit einiger distanz zur damaligen erfahrung.

viele ihrer erkenntnisse passen so gar nicht zur üblichen tradition des holocaust-gedenkens: so kristisiert sie z.b. die kz-"Museumskultur" und den kz-tourismus sowie die erwartung, dass auschwitz eine "Lehranstalt für irgendetwas gewesen sei und schon gar nicht für Humanität und Toleranz". im gegensatz zum philosophen Adorno ist sie auch nicht der ansicht, dass es barbarisch sei, nach auschwitz gedichte zu schreiben.

ein buch für alle, die ein durch und durch kluges, aber etwas anderes werk über den holocaust lesen möchten.
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Eckfahnenfan

Katastrophenkapitalismus

Beitrag von Eckfahnenfan »

Wer über Covid 19 ein wenig mehr erfahren will als die täglichen RKI-Wasserstandsmeldungen, muss nicht ahnungslos bleiben.
Hier die Vorstellung von zwei Zugängen zum Thema:
Katastrophenkapitalismus

Zwei neue Bücher befassen sich mit dem Zusammenhang von Ökonomie, Ökologie und Pandemie. Von Jürgen Pelzer

Die Covid-19-Pandemie ist keine Naturkatastrophe. Wie die Klimaerwärmung und die internationale Bankenkrise 2008 ist sie menschengemacht und ließe sich dadurch verhindern oder zumindest bekämpfen, dass man ihren Ursachen auf die Spur kommt. Bei der Bankenkrise lagen die auf der Hand, was aber nicht dazu geführt hat, dass die entsprechenden politischen Konsequenzen gezogen worden wären. Dasselbe gilt für die Klimaerwärmung.

Das scheint bei Covid-19 anders zu sein. Nach anfänglichem Zögern sahen sich die meisten Staaten gezwungen, die Ausdehnung des Virus einzudämmen. Sie machten Milliarden locker und riskierten den massiven Rückgang ihres Wirtschaftswachstums. Einige Beobachter begannen schon, von den Vorteilen eines Notstand-Staates zu schwärmen, der das Recht auf Leben höher einstufe als das auf Eigentum und Profit, und stellten die Frage, ob ein solcher Staat nicht auch in der Lage wäre, die Klimaerwärmung in den Griff zu bekommen. Doch die ist zwar in ihren zerstörerischen Folgen ebenso unumkehrbar, aber weniger akut, und gerade das Akute der Pandemie zwang zum Handeln, zumal diesmal der reiche Norden betroffen war: Wäre das Virus über Bangladesch in den Irak und von dort nach Somalia oder Zentralafrika gewandert, hätte man es vermutlich bei Hilfsversprechen belassen und die dortigen Bevölkerungen auf die Herdenimmunität vertröstet.

Dabei war die Pandemie durchaus absehbar. Trotz allen medizinischen Fortschritts haben sich die Ausbrüche von angeblich überwundenen Infektionskrankheiten vermehrt. Das neuartige, akute Atemwegserkrankungen auslösende Corona-Virus wurde bereits 2002/2003 diagnostiziert. 2012 erschien es als MERS in neuer Form. Altbekannte Viren wie Ebola oder Zika traten ebenso wie das Dengue-Fieber mit neuer Wucht auf.

Erforscht werden diese Entwicklungen auch in Deutschland. Das Robert-Koch-Institut lieferte 2012 eine ziemlich genaue Prognose zu Ausbruch und Verbreitung einer pandemischen Zoonose, einer von Tieren auf Menschen übertragenen Seuche. Gehandelt hat die Politik nicht, in Deutschland ebensowenig wie anderswo, und die Neoliberalisierung des Gesundheitswesens ging ungestört weiter.

Kaum diskutiert wurden die ökologischen Ursachen von Pandemien. Eine Ausnahme bilden Rob Wallace, der seit Jahren gesellschaftsbezogene Grundlagenforschung in diesem Bereich betreibt, und der schwedische Umweltforscher Andreas Malm, der jetzt eine polit-ökologische Gesamtskizze der Voraussetzungen für Covid-19 geliefert hat. Diese Pandemie wird nur verständlich, wenn man Biologisches, Ökologisches und die Bedingungen des kapitalistischen Weltmarkts ins Auge fasst. Die vermehrte Übertragung von Tier auf Mensch lässt sich durch eine riesige Migrations- und Urbanisierungswelle in China erklären, die zur Bildung von Regionalstädten und –märkten und vor allem zur Verkleinerung von Waldgebieten geführt hat. Damit sind die Rückzugsgebiete für die riesigen Fledertierschwärme beschränkt, und der Kontakt zwischen Menschen und Tieren (und damit auch Viren) wird enger. Die schnelle Verbreitung erklärt sich aus dem enormen Ausbau der internationalen Verbindungen, vor allem auf dem Luftweg: Ein Virus aus Wuhan kann in wenigen Stunden in New York, London oder Berlin sein.

Doch die erhöhte Anfälligkeit für Pandemien ist nur ein relativ isolierter Aspekt der ökologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Wallace und Malm richten ihren Blick auf das ökonomische Ungleichgewicht zwischen dem wohlhabenden Norden und dem ressourcenreichen Süden und zeigen, wie Produkte der Tropen – wie Rindfleisch, Sojabohnen, Palmöl und Holzprodukte – in den „Kreislauf des Kapitals“ eingespeist werden. Wenn die Regenwälder am Amazonas brennen, dann nicht weil kleine Farmer um ihr Überleben kämpfen, sondern weil große Unternehmen Landmassen an sich reißen und so den Konsum anheizen. Die ökologischen Folgen sind gravierend, für das Klima ebenso wie für Biotope und zahllose Tierarten. „Der Norden bekommt die Profite, die Produzenten im Süden bekommen die Moskitos“ und schlagen sich mit alten und neuen Seuchen herum.

Die treibende Kraft hinter diesen Entwicklungen ist das Kapital, das Raubbau an der Natur betreibt, und zu den Folgen zählen Seuchen beziehungsweise ein zu erwartender „chronischer Notstand“ (Malm). Es ist nicht zu erwarten, dass die Politik sich mit der zentralen Fraktion des Kapitals, dem „fossilen Kapital“, anlegen wird. Doch genauso utopisch erscheint der von Malm ins Spiel gebrachte „ökologische Leninismus“, der sich den ökonomischen Interessen, die hinter der Klima- und sonstigen Katastrophen stehen, ebenso konsequent verweigert wie Lenin im September 1917 dem Kriegsgeschehen. Ein Staat, der fundamentale Probleme lösen und Katastrophen vermeiden wollte, müsste das tun. Doch welcher Staat wäre heute dazu in der Lage?



Rob Wallace: Was COVID-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat. Papyrossa, Köln 2020, 207 Seiten, 20 Euro

Andreas Malm: Klima|X. Matthes und Seitz, Berlin 2020, 263 Seiten, 15 Euro

https://konkret-magazin.de/aktuell/531- ... pitalismus
Acker1966

Dürrenmatt 100 Jahre

Beitrag von Acker1966 »

Heute am 5.01. wäre er 100 geworden. Dazu gibt es vom Kurator des Nachlasses eine Biographie.

Ulrich Weber erzählt vom kometenhaften Aufstieg des Pfarrerssohns aus dem Emmental zum weltberühmten Autor mit Millionenauflagen und von den vielen kleinen und großen Brüchen in seinem Leben, die ihn zwangen, sich immer wieder neu zu erfinden. Bislang unzugängliche Dokumente erlauben einen ganz neuen Blick auf den privaten Dürrenmatt.

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt sind im deutschsprachigen Raum unübertroffen. Und ein paar Anekdoten aus der Kronenhalle wird es sicherlich auch geben.
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

Re: Dürrenmatt 100 Jahre

Beitrag von Hoellenvaart »

Acker1966 hat geschrieben: Dienstag 5. Januar 2021, 09:40 Heute am 5.01. wäre er 100 geworden. Dazu gibt es vom Kurator des Nachlasses eine Biographie.

Ulrich Weber erzählt vom kometenhaften Aufstieg des Pfarrerssohns aus dem Emmental zum weltberühmten Autor mit Millionenauflagen und von den vielen kleinen und großen Brüchen in seinem Leben, die ihn zwangen, sich immer wieder neu zu erfinden. Bislang unzugängliche Dokumente erlauben einen ganz neuen Blick auf den privaten Dürrenmatt.

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt sind im deutschsprachigen Raum unübertroffen. Und ein paar Anekdoten aus der Kronenhalle wird es sicherlich auch geben.
beide gehören auch zu meinen lieblingsautoren, aber "unübertroffen"? was soll man sich darunter vorstellen?

zum 100. geburtstag empfehle ich die vielleicht nicht so bekannte geschichte "Die Panne":

http://durrenmatt.narod.ru/olderfiles/1 ... _Panne.pdf
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Acker1966

Re: Dürrenmatt 100 Jahre

Beitrag von Acker1966 »

Hoellenvaart hat geschrieben: Dienstag 5. Januar 2021, 09:53
Acker1966 hat geschrieben: Dienstag 5. Januar 2021, 09:40 Heute am 5.01. wäre er 100 geworden. Dazu gibt es vom Kurator des Nachlasses eine Biographie.

Ulrich Weber erzählt vom kometenhaften Aufstieg des Pfarrerssohns aus dem Emmental zum weltberühmten Autor mit Millionenauflagen und von den vielen kleinen und großen Brüchen in seinem Leben, die ihn zwangen, sich immer wieder neu zu erfinden. Bislang unzugängliche Dokumente erlauben einen ganz neuen Blick auf den privaten Dürrenmatt.

Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt sind im deutschsprachigen Raum unübertroffen. Und ein paar Anekdoten aus der Kronenhalle wird es sicherlich auch geben.
beide gehören auch zu meinen lieblingsautoren, aber "unübertroffen"? was soll man sich darunter vorstellen?

zum 100. geburtstag empfehle ich die vielleicht nicht so bekannte geschichte "Die Panne":

http://durrenmatt.narod.ru/olderfiles/1 ... _Panne.pdf
Für mich halt. Meine persönliche Meinung.

Ich find auch das Maradona der beste war, aber das teilt nicht jeder.
Benutzeravatar
Txomin_Gurrutxaga
Poweruser
Beiträge: 1990
Registriert: Sonntag 28. April 2019, 10:44
Wohnort: Diaspora
Lieblingsverein: BSG Aktivist

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Txomin_Gurrutxaga »

Jo, war viel schönes dabei (meine jetzt Dürrenmatt, nicht den koksenden Napolitaner).

Der unheimliche Ahasver in "Der Verdacht" z.B.

Und die Auflösung am Ende des "Versprechens" (Albertchen mit seinen Schokoigeln) ist der Hammer.
Ніхто не зламає націю, чий дух був викований у століттях боїв.

Prší a venku se setmělo, tato noc nebude krátká!

Wir sind Verteidiger des wahren Blödsinns, Krieger in schwarz-rosa-gold.
Benutzeravatar
Txomin_Gurrutxaga
Poweruser
Beiträge: 1990
Registriert: Sonntag 28. April 2019, 10:44
Wohnort: Diaspora
Lieblingsverein: BSG Aktivist

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Txomin_Gurrutxaga »

Es war einmal ein bosnisch-serbischer Junge, Baujahr 1978 und glühender Anhänger von Crvena zvezda (damals gegen Bayern war die Welt noch in Dortmund). Weil sich die bosniakische Mutter mit einem Völkermord am eigenen Leib nicht abfinden wollte, fand die Familie schließlich im Heidelberger Sozi-Laboratorium Emmertsgrund eine "Neue Heimat". Und der Sprößling eine Immigrantenclique zum Abhängen an der örtlichen Tanke.

20 Jahre später schreibt das einstige Flüchtlingskind dann u.a. über Tanken in Angelas ehemaliger Hood, und das in einer Art und Weise, als wäre er nie etwas anderes gewesen als ein überdurchschnittlich belesenes Kind der Uckermark (ja, ich bin ein bisschen verliebt... die Zeh, Dörte Hansen und er).

Saša Stanišić - Vor dem Fest

(extra zu Weihnachten, aber um DAS Fest ging es dann gar nicht)

Noch ist Zeit vor dem Fest. Die Nacht muss ausgestanden werden, am Tag werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Das Dorf kocht, das Dorf sprüht Glasreiniger (…). Das Dorf poliert die Felgen. Das Dorf duscht.

Es gehen mehr tot, als geboren werden. Wir hören die Alten vereinsamen. Sehen den Jungen beim Schmieden zu von keinem Plan. Oder vom Plan, wegzugehen.

In deutschen Haushalten finden sich im Schnitt mehr Bakterien auf der Fernbedienung als auf der Klobrille.

Mit „früher“ meinen alle immer gleich die gesamte Vorwendezeit. Theoretisch kannst du mit „früher“ auch das dunkelste Mittelalter meinen, aber auf keinen Fall Gerhard Schröder.

Wenn bei uns irgendwo ein Fenster eingeschlagen wird und offen steht, dann haben wir mehr Angst vor dem, was entkommen sein könnte, als vor dem, der vielleicht eingestiegen ist.

Die Rumänen pflücken für fünf Euro die Stunde Äpfel und Erdbeeren, ernten den Salat, stechen den Spargel (…). An der Landstraße draußen vor Kraatz hat man vor ein paar Jahren Wohncontainer für sie hingestellt (…). Und letztes Jahr: Neonazis aus der Gegend, bis auf unsere beiden, Rico und Luise, die hatten es verpennt. Lagerfeuer, Beisammensein, Grillen, Pogotanz und (…) irgendwann in den Morgenstunden, schon auch die Polizei.
"Rumänen raus" stand danach groß und schräg auf einem der Container, aber irgendwie leise, weil weiß gesprayt auf gelb und weil das Ausrufezeichen fehlte, und so hing das eine Zeitlang da, bis ein verschlafener Rumäne eines Morgens aus dem Container stieg, sich den Spruch eine Zigarette lang ansah, Tesafilm und Toilettenpapier holte und aus dem „r“ in „raus“ ein „H“ machte und hinter „Rumänen“ einen Bindestrich zog (…). Wir glauben, dass das Frau Kranz’ Lieblingsbild ist, weil sie es dem Rumänen geschenkt und gewidmet hat. Sie widmet sonst keine Bilder. Und jetzt hängt es irgendwo, vielleicht in Baia Mare, vielleicht in Vişeu de Sus, ein Morgen in der Uckermark 2012.
Ніхто не зламає націю, чий дух був викований у століттях боїв.

Prší a venku se setmělo, tato noc nebude krátká!

Wir sind Verteidiger des wahren Blödsinns, Krieger in schwarz-rosa-gold.
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Hoellenvaart »

Txomin_Gurrutxaga hat geschrieben: Dienstag 5. Januar 2021, 19:15 Es war einmal ein bosnisch-serbischer Junge, Baujahr 1978 und glühender Anhänger von Crvena zvezda (damals gegen Bayern war die Welt noch in Dortmund). Weil sich die bosniakische Mutter mit einem Völkermord am eigenen Leib nicht abfinden wollte, fand die Familie schließlich im Heidelberger Sozi-Laboratorium Emmertsgrund eine "Neue Heimat". Und der Sprößling eine Immigrantenclique zum Abhängen an der örtlichen Tanke.

20 Jahre später schreibt das einstige Flüchtlingskind dann u.a. über Tanken in Angelas ehemaliger Hood, und das in einer Art und Weise, als wäre er nie etwas anderes gewesen als ein überdurchschnittlich belesenes Kind der Uckermark (ja, ich bin ein bisschen verliebt... die Zeh, Dörte Hansen und er).

Saša Stanišić - Vor dem Fest

(extra zu Weihnachten, aber um DAS Fest ging es dann gar nicht)

Noch ist Zeit vor dem Fest. Die Nacht muss ausgestanden werden, am Tag werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Das Dorf kocht, das Dorf sprüht Glasreiniger (…). Das Dorf poliert die Felgen. Das Dorf duscht.

Es gehen mehr tot, als geboren werden. Wir hören die Alten vereinsamen. Sehen den Jungen beim Schmieden zu von keinem Plan. Oder vom Plan, wegzugehen.

In deutschen Haushalten finden sich im Schnitt mehr Bakterien auf der Fernbedienung als auf der Klobrille.

Mit „früher“ meinen alle immer gleich die gesamte Vorwendezeit. Theoretisch kannst du mit „früher“ auch das dunkelste Mittelalter meinen, aber auf keinen Fall Gerhard Schröder.

Wenn bei uns irgendwo ein Fenster eingeschlagen wird und offen steht, dann haben wir mehr Angst vor dem, was entkommen sein könnte, als vor dem, der vielleicht eingestiegen ist.

Die Rumänen pflücken für fünf Euro die Stunde Äpfel und Erdbeeren, ernten den Salat, stechen den Spargel (…). An der Landstraße draußen vor Kraatz hat man vor ein paar Jahren Wohncontainer für sie hingestellt (…). Und letztes Jahr: Neonazis aus der Gegend, bis auf unsere beiden, Rico und Luise, die hatten es verpennt. Lagerfeuer, Beisammensein, Grillen, Pogotanz und (…) irgendwann in den Morgenstunden, schon auch die Polizei.
"Rumänen raus" stand danach groß und schräg auf einem der Container, aber irgendwie leise, weil weiß gesprayt auf gelb und weil das Ausrufezeichen fehlte, und so hing das eine Zeitlang da, bis ein verschlafener Rumäne eines Morgens aus dem Container stieg, sich den Spruch eine Zigarette lang ansah, Tesafilm und Toilettenpapier holte und aus dem „r“ in „raus“ ein „H“ machte und hinter „Rumänen“ einen Bindestrich zog (…). Wir glauben, dass das Frau Kranz’ Lieblingsbild ist, weil sie es dem Rumänen geschenkt und gewidmet hat. Sie widmet sonst keine Bilder. Und jetzt hängt es irgendwo, vielleicht in Baia Mare, vielleicht in Vişeu de Sus, ein Morgen in der Uckermark 2012.
Es gehen mehr tot,

soll das deutsch sein??? :mrgreen:
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Benutzeravatar
Hoellenvaart
Schwallerkopp
Beiträge: 4698
Registriert: Montag 29. April 2019, 19:05
Wohnort: Harmony Hall

Lord Peter Wimsey

Beitrag von Hoellenvaart »

Pk-hh hat geschrieben: Dienstag 19. Mai 2020, 10:41
Hoellenvaart hat geschrieben: Montag 18. Mai 2020, 22:15
Pk-hh hat geschrieben: Montag 18. Mai 2020, 19:48 Back the the basics.
Dorothy L. Sayers - Zur fraglichen Stunde.
Die britische Zeitung The Guardian nahm 2009 zwei ihrer Kriminalromane, nämlich Der Tote in der Badewanne (1923) und Mord braucht Reklame (1933) in die Liste der tausend Romane auf, die jeder gelesen haben sollte.

Lord Peter Wimsey, eine schöne erinnerung an jugendliche strandlektüre. die "Badewanne" hätte ich ja noch vor mir, aber ist das wirklich was für erwachsene? :umbrella:
Mord braucht Reklame ist es defintiv wert, gelesen zu werden.
"Für Erwachsene" entscheidet ja nicht das Buch sondern der Leser. Ich hab mir irgendwann auch mal "Der Schatz im Silbersee" reingezogen.
Für gehobenere Ansprüche tendiere ich zu Sachbüchern. Belletristik ist nix für mich - da bin ich zu doof für....
dank der anregung: nachdem ich als jugendlicher ca. 5 romane gelesen habe (die üblichen goldmann oder scherz taschenbücher), habe ich nun begonnen, die originale (die sehr schön gestalteten taschenbücher von Hodder) in der chronologischen reihenfolge zu lesen. bin gerade beim 3. band (Unnatural Death) und bereue es nicht. :mrgreen:

warum aber gerade der 1. band der reihe (Der Tote in der Badewanne / Whose Body?) zu den tausend zu lesenden büchern gehören soll, ist mir allerdings schleierhaft, schon der 2. und 3. band sind m.e. besser.

mein eindruck ist auch, dass bei den übersetzungen (zumindest z.t.) die krimis gekürzt wurden, aber das muss ich noch verifizieren, insb. an Murder Must Advertise, aber das ist erst der 8. band der reihe. :mrgreen:

Bild
„...Politiker! Du kennst die Ethik dieser Leute, die liegt noch ein Grad unter der von Kinderschändern...“ (Alvy Singer) :twisted:
Bild
Bild
Benutzeravatar
Depp72
Urgestein
Beiträge: 6834
Registriert: Montag 24. Juni 2019, 19:00

Re: Was lest ihr.....

Beitrag von Depp72 »

Der Blaue Lotus. Ein zeitloses Meisterwerk.
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.
Eckfahnenfan

Abgewrackt

Beitrag von Eckfahnenfan »

Untertitel: Wirtschaft der DDR - von der Krise zur Liquidierung.
Von Jörg Roesler, jahrzehntelang als Wirtschaftshistoriker in der DDR und nach ihrem Ende in anderen Gegenden unterwegs.
In der Aufsatzsammlung untersucht er die Endphase der DDR-Ökonomie und ihre Liquidierung durch BRD und ihre Treuhand.
Seine zentrale These: Die DDR war 1989 keineswegs bankrott. Bis zuletzt gehörte sie zu den führenden Industrienationen, war weder zahlungsunfähig noch durch einen drastisch abfallenden Lebensstandard obsolet geworden.
Also Vorsicht: Marktwirtschaftliche Glaubenssätze, nach denen jede Alternative zu einer kapitalistischen Ordnung zum Scheitern verurteilt ist, wird man hier vergeblich suchen. Ebenso Angaben zur Bananendichte im Warensortiment...
Benutzeravatar
Depp72
Urgestein
Beiträge: 6834
Registriert: Montag 24. Juni 2019, 19:00

Re: Abgewrackt

Beitrag von Depp72 »

Eine Aufsatzsammlung, insofern ist der Buchtitel absolut passend. Aber stimmt, solventer als Mali oder Laos war die DDR schon.
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.
Eckfahnenfan

Re: Abgewrackt

Beitrag von Eckfahnenfan »

Depp72 hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 15:37 Eine Aufsatzsammlung, insofern ist der Buchtitel absolut passend. Aber stimmt, solventer als Mali oder Laos war die DDR schon.
Und selbst, der Herr...?
Benutzeravatar
Depp72
Urgestein
Beiträge: 6834
Registriert: Montag 24. Juni 2019, 19:00

Re: Abgewrackt

Beitrag von Depp72 »

Eckfahnenfan hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 16:40 Und selbst, der Herr...?
Ich quäle mich durch ''Verschwörung'' von David Lagercrantz nach Stieg Larsson. Vor längerer Zeit hatte ich nebenbei mal sehr kritische Reaktionen auf die Fortsetzung der Milenium-Triologie gelesen. Sehr günstig gebraucht erstanden mache ich seit einigen Wochen den Praxistest: Der Roman scheint alle Klischees einer furchterreregenden Fortsetzung zu erfüllen. Quasi die böse Fratze des Kapitalismus. Ich werde bis zum Ende durchhalten, inhaliere aber aus Selbstschutzgründen nur in homöopathischer Dosierung. Und das dauert halt.


Ganz unterhaltsam, auch wenn ich recht lange fürs Buch gebraucht habe, fand ich ''Eileen'' von Ottessa Moshfegh.
https://www.zeit.de/kultur/literatur/20 ... nung-roman

Sprachlich schön. Und das Ende war dann ganz anders als ich es mir ausgemalt habe. So wie der Roman, wenn man ihn anfängt zu lesen. Man macht einfach weiter. Nächste Seite, nächste Lebenslinie. Nicht immer steckt ein Sinn dahinter.

Ottessa Moshfegh hat geschrieben:Wie ich bereits erwähnte, war mein Verwschwinden nicht die Lösung all meiner Probleme, aber wenigstens konnte ich neu anfangen. Als ich spät am ersten Weihnachtstag nach New York kam, war ich ausgenüchtert und hungrig, mein ganzer Körper schmerzte, mein Gesicht war geschwollen. Ich lief den ganzen Abend lang am Times Square herum und ging schließlich in ein Kino, in dem schmutzige Filme gezeigt wurden, weil mir so kalt war und ich aus Angst, die Polizei wäre hinter mir her, kein Hotelzimmer nehmen wollte. Ich traute mich nicht, irgend jemanden anzusprechen, ich traute mich kaum zu atmen. Dort im Kino lernte ich meinen ersten Ehemann kennen - in der letzten Reihe.
Von uns die Arbeit, von Gott den Segen.
Eckfahnenfan

Re: Abgewrackt

Beitrag von Eckfahnenfan »

Depp72 hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 17:55
Eckfahnenfan hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 16:40 Und selbst, der Herr...?
Ich quäle mich durch ''Verschwörung'' von David Lagercrantz nach Stieg Larsson. Vor längerer Zeit hatte ich nebenbei mal sehr kritische Reaktionen auf die Fortsetzung der Milenium-Triologie gelesen. Sehr günstig gebraucht erstanden mache ich seit einigen Wochen den Praxistest: Der Roman scheint alle Klischees einer furchterreregenden Fortsetzung zu erfüllen. Quasi die böse Fratze des Kapitalismus. Ich werde bis zum Ende durchhalten, inhaliere aber aus Selbstschutzgründen nur in homöopathischer Dosierung. Und das dauert halt.


Ganz unterhaltsam, auch wenn ich recht lange fürs Buch gebraucht habe, fand ich ''Eileen'' von Ottessa Moshfegh.
https://www.zeit.de/kultur/literatur/20 ... nung-roman

Sprachlich schön. Und das Ende war dann ganz anders als ich es mir ausgemalt habe. So wie der Roman, wenn man ihn anfängt zu lesen. Man macht einfach weiter. Nächste Seite, nächste Lebenslinie. Nicht immer steckt ein Sinn dahinter.

Ottessa Moshfegh hat geschrieben:Wie ich bereits erwähnte, war mein Verwschwinden nicht die Lösung all meiner Probleme, aber wenigstens konnte ich neu anfangen. Als ich spät am ersten Weihnachtstag nach New York kam, war ich ausgenüchtert und hungrig, mein ganzer Körper schmerzte, mein Gesicht war geschwollen. Ich lief den ganzen Abend lang am Times Square herum und ging schließlich in ein Kino, in dem schmutzige Filme gezeigt wurden, weil mir so kalt war und ich aus Angst, die Polizei wäre hinter mir her, kein Hotelzimmer nehmen wollte. Ich traute mich nicht, irgend jemanden anzusprechen, ich traute mich kaum zu atmen. Dort im Kino lernte ich meinen ersten Ehemann kennen - in der letzten Reihe.
Meine Frage zielte eigentlich auf Deine Solvenz :smokingjoint:
Aber danke für die Literaturtipps.
An Krimis habe ich das Interesse ein wenig verloren. Lange Zeit habe ich diese Kost geradezu in mich hineingeschlungen. Skandinavische vor allem. Stieg Larsson natürlich Pflichtlektüre. Vielleicht überfressen...?
Acker1966

Fortsetzung Faserland

Beitrag von Acker1966 »

Txomin_Gurrutxaga hat geschrieben: Donnerstag 5. November 2020, 00:17
Acker1966 hat geschrieben: Mittwoch 4. November 2020, 11:43 Christian Kracht hat mal eine sowjet republik in der Schweiz beschrieben. Großartiger Autor übrigens.
Danke. Kannte bisher nur Torsten, den Bochumer Ossi.

Großartiger Buchtitel übrigens. Wirkt inhaltlich freilich arg wirsch. Wird im Falle eines Falles eher auf "Faserland" oder "Imperium" rauslaufen (glaube unverdrossen an ein weißrussisches Weißrussland - und das liegt utopietechnisch wesentlich weiter weg als Engelhardts Kokosnussphantasien :?).

BTW: immer wieder spannend, verblüffend, ernüchternd uvm... da gibt es tonnenweise Rezeption zum Œuvre von Leuten, deren Namen ich noch nie gehört habe!
https://m.tagesspiegel.de/kultur/neuer- ... 95390.html