Wie krank muss man sein?
https://www.tagesspiegel.de/berlin/mord ... 72028.htmlSeit Tagen hetzt ein Mob gegen den renommierten Antisemitismusexperten Jörg Rensmann. Verantwortlich ist ein folgenschwerer Irrtum eines bekannten pro-palästinensischen Influencers aus Berlin.
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Einer dieser Klicks dürfte auf den Berliner Serhat Sisik zurückgehen. Der pro-palästinensische Influencer vereint auf seinen Instagram- und TikTok-Accounts unter dem Namen „Agressionsprobleme“ mehrere hunderttausend Follower. Seit dem 7. Oktober nutzt er diese Plattform für Videos zur Situation in Gaza, in seinem Shop verbreitet er Pullover mit der Aufschrift „Wir reden nicht mit Zionisten“.
Auch am Wochenende setzte sich Sisik wieder vor seine Handykamera und leitete seinen neusten Clip mit den Worten „dieses Video muss viral gehen“ ein. Ein älterer, „pro-zionistischer“ Mann habe am 8. April zwei Mädchen an einer Berliner U-Bahnstation mit dem Tode bedroht, erzählt Sisik, während im Hintergrund die Bilder des Vorfalls zu sehen sind. „Und wisst ihr, was das Krasseste an der ganzen Sache ist?“, fragt der Influencer im Anschluss. „Dieser Mann ist kein Unbekannter“. Es ist eben dieser Satz, der für Jörg Rensmann die folgenden Tage zur Hölle machen wird.
Denn Sisik erklärt seinen hunderttausenden Abonnenten, er habe den fremden Typen hinter dem Vorfall von dem U-Bahnhof identifiziert. Der Täter sei der Nahostexperte Jörg Rensmann erklärt der Influencer, während er im Hintergrund ein Foto des Politikwissenschaftlers einblendet. Zweifel hat er offenbar keine, Sisik geht die Vita des Antisemitismusexperten durch, bis er schließlich sein Video mit einer großen Medienschelte beendet. „Als Zionist darfst du Menschen androhen, sie zu köpfen, ohne (...) dass irgendein deutsches Medienjournal darüber berichtet.“
Dann kommt es so, wie von Sisik bestellt. Das Video geht viral. Hunderttausende klicken, Tausende liken und Hunderte beginnen ihren Hass gegenüber Rensmann ins Internet zu gießen. Das Problem: Das Video vom U-Bahnhof Unter den Linden zeigt gar nicht Jörg Rensmann. „Selbstverständlich bin ich das nicht. Ich war an diesem Tag gar nicht in Berlin“, sagt der Experte für Antisemitismus dem Tagesspiegel. Sowieso würde er niemals solch eine Geste machen, „nicht privat und schon gar nicht öffentlich“.
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In Nordrhein-Westfalen ist Rensmann Projektleiter der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“, kurz „RIAS“. Gleichzeitig ist er Vorstandsmitglied bei der Bildungsorganisation „Mideast Freedom Forum Berlin“, das auch Politikberatung betreibt. Am Mittwoch wendet sich das Forum mit einem Statement an die Öffentlichkeit, in dem deutlich betont wird, dass in dem betreffenden Clip nicht Jörg Rensmann zu sehen ist.
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„Wir werten das Video als Kampagne, welche uns einschüchtern, uns die Arbeit gegen Antisemitismus behindern soll“, heißt es in der Stellungnahme er Organisation. Die antisemitischen Hassmails und Drohnachrichten seien erschreckend, man werde auch juristisch dagegen vorgehen. Zu den Hassnachrichten gehören auch eindeutige Todesdrohungen. „Ihm sollte man den Kopf abschneiden so eine wiederwertige Kreatur“ (sic), schreibt ein User. Andere Nutzer verbreiten die E-Mail-Adresse Rensmanns. Dazu kommen diverse antisemitische Äußerungen. „Seit 1945 haben wir eine jüdische Bundesregierung mit wechselnden Schauspielern“, schreibt jemand, andere schlicht „dreckiger Zionist“.
Und Serhat Sisik?
Derjenige, der für den antisemitischen Mob verantwortlich ist, löscht das Video erst, als der Tagesspiegel ihn damit konfrontiert. Falls es sich tatsächlich um eine falsche Behauptung handelt, tue es ihm Leid, schreibt Sisik in einer Mail an das „Mideast Freedom Forum Berlin“, die er auf Anfrage weiterleitet. Nach seinen „Recherchen“, sei der Vorwurf aber nicht unberechtigt, die jungen Mädchen, die das Video vom U-Bahnhof gefilmt haben, hätten Rensmann angeblich identifiziert. Gleichzeitig kündigte er an, seine „Recherchen“ nochmal zu überprüfen.
Sisiks Antwort auf die Fragen des Tagesspiegels endet schließlich mit einer Ankündigung. „Falls sie dennoch einen Bericht schreiben sollten, in dem sie behaupten oder es so darstellen, dass ich lüge, wird sich mein Anwalt bei ihnen melden“, schreibt der Influencer. Er habe schließlich lediglich „Zeugenaussagen“ weitergegeben, die Jörg Rensmann zu „100 Prozent“ identifizierten.
Rensmann selbst hat in Nordrhein-Westfallen mittlerweile den Staatsschutz wegen der zahlreichen Drohungen eingeschaltet, gegen Sisik wurden erste rechtliche Schritte eingeleitet. „Der Schaden ist angerichtet“, sagt der Antisemitismusexperte, „ich bin zutiefst beunruhigt, vor allem wegen meiner Kinder“. Eine persönliche Entschuldigung vom Palästina-Influencer habe er bisher übrigens nicht erhalten.