Kann man auch hier in diesme Forum sehr schön verfolgen.
Janine Patz
hat Politikwissenschaft, Psychologie und Erziehungswissenschaften studiert. Sie ist am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft tätig und untersucht in einem Projekt am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt den internationalen Rechtspopulismus im Kontext globaler, ökologischer Krisen.
Die Wissenschaftlerin Janine Patz erforscht, welche Positionen rechtsextreme Parteien in der klimapolitischen Debatte beziehen. Und wie gefährlich das für die Demokratie sein kann.
ZEIT ONLINE: Frau Patz, was hat der aktuelle Aufstieg der AfD mit der Klimakrise zu tun?
Janine Patz: So zugespitzt formuliert lässt sich das nur schwer beantworten. Fakt ist, dass die Partei das Klimathema schon seit ein paar Jahren instrumentalisiert. Sie hat früh erkannt, wie gut sich die Diskussion ums Klima eignet, um Emotionen zu schüren. Jetzt profitiert sie von der Art, wie wir derzeit klimapolitische Debatten führen. Die Auseinandersetzungen zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) sind dafür ein gutes Beispiel.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Patz: Die politische Debatte um das GEG war geprägt von antidemokratischen und sogar offen demokratiefeindlichen Narrativen und Feindbildern, die teils aus dem extrem rechten Spektrum übernommen und dadurch salonfähig gemacht wurden. Das dürfte zum Umfragehoch der AfD beigetragen haben.
ZEIT ONLINE: Von welchen Feindbildern sprechen Sie?
Patz: Klimaschutz ist dringend nötig. Aber er wird als Ideologieprojekt diffamiert, an dessen Ende vermeintlich eine Klimadiktatur steht. Die Grünen werden als "Verbotspartei" gezeichnet, die "das Volk" bewusst schädigen wolle – und dieses Narrativ wird nicht nur für die Partei selbst angewandt, sondern auf alle ausgedehnt, die sich für mehr Klima- und Umweltschutz aussprechen. Aus dem Gesetz einer Drei-Parteien-Koalition wurde innerhalb kürzester Zeit "Habecks Heizungshammer". Das Gesetz soll den Vorrang erneuerbarer Energien beim Einbau neuer Heizungen festschreiben – doch den Menschen wurde bewusst suggeriert, dass ihnen ab 2024 verboten werde, ihre Gas- oder Ölheizungen weiterzubetreiben. So wurde die Angst geschürt, alle müssten ab dem kommenden Jahr in der Kälte sitzen, wenn sie ihre alte Heizung nicht rechtzeitig für viel Geld gegen eine neue austauschen.
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ZEIT ONLINE: Aber was macht die rechten Erzählungen so anschlussfähig?
Patz: Um das zu verstehen, hilft es, sich die beiden Argumentationslinien anzusehen, die in der extremen Rechten zum Klima vertreten werden. Die eine ist die ökofaschistische. In ihr werden die Moderne und der Kapitalismus als Wurzel praktisch aller Probleme ausgemacht und die Rückbesinnung auf eine vermeintlich natürliche Ordnung propagiert. Das knüpft an die alte Ideologie einer Verbindung von "Blut und Boden" an: an die Bindung eines imaginären, ethnisch begründeten "Volks" an einen Raum. Diese Verbindung wird als naturgegeben konstruiert. Das betrifft nicht nur Fragen von Herkunft, sondern schließt auch eine angeblich natürliche, binäre Geschlechterordnung und die daran geknüpften Rollen ein. Gerade die Neue Rechte wirbt für dieses "Zurück zur Natur"-Ideal. Damit ist sie anschlussfähig an Teile der Öko- und Naturschutzbewegung, aber auch an esoterisch geprägte Milieus.
ZEIT ONLINE: Das klingt abstrakt. Welche Rolle spielt es in der konkreten Klimapolitik?
Patz: Dem ökofaschistischen Verständnis nach wird Umweltschutz zu völkischem Heimatschutz umgedeutet. Es wird ein unvereinbarer Gegensatz zwischen Klimaschutzpolitik einerseits und Umwelt-, Natur- und Artenschutz andererseits konstruiert. Die Argumentation wurde jüngst häufig übernommen, gerade wenn es um den Ausbau von Solar- und Windkraft geht. Der Vorwurf: Die Klimaschutzpolitik zerstöre unsere Landschaften, gefährdet heimische Tier- und Pflanzenarten und letztendlich unsere Heimat.
ZEIT ONLINE: Sie haben von zwei Argumentationsrichtungen gesprochen. Welche ist die andere?
Patz: Es ist eine antiökologistische Position, die einen sogenannten Klimarealismus propagiert. Sie zeichnet sich durch neoliberale, extrem chauvinistische und rassistische Sichtweisen aus. Im Mittelpunkt steht die Verteidigung der eigenen Wohlstandsprivilegien, während der Rest der Welt egal ist. Hier gibt es Berührungspunkte zu marktradikalen und konservativen Kräften. Im Unterschied zu den extrem Rechten, die sehr offen nationalistische und rassistische Vorrechte einfordern, argumentieren Marktradikale eher mit einer vermeintlichen Bedrohung für Freiheit und Wohlstand. Aber beide Lager eint, dass sie Ungleichheit rechtfertigen – und beide verfolgen eine Strategie der Ausgrenzung und Abschottung, um ihre Privilegien zu verteidigen und den Status quo westlicher Wohlstandsproduktion auf Kosten des Globalen Südens und des Klimas zu erhalten.
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ZEIT ONLINE: Wie gut klappt das mit der Abgrenzung?
Patz: Nicht sehr gut. Der demokratische Konsens bröckelt besonders in den Ländern, die mit fossilen Energien reich geworden sind, wie Deutschland oder die USA. Auch innerhalb der Europäischen Union werden die Kräfte stärker, die den Klimaschutz torpedieren und zugleich auch die EU selbst destabilisieren wollen. Extrem Rechte kooperieren mit konservativen, marktradikalen Kräften. Das Gefährlichste sind dabei nicht die Rechtsextremen selbst, sondern dass ihre Narrative, Feindbilder und Politikstile in den vergangenen Monaten so stark von anderen übernommen und normalisiert worden sind. Wenn die Debattenkultur zunehmend antidemokratisch wird, lässt sich das nur schwer wieder zurückdrehen. Das erleben wir derzeit. Das ist die eigentliche Gefahr für die Demokratie.
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Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie