taz hat geschrieben:15 dieser Bekennerschreiben soll Beate Zschäpe auf ihrer Flucht an Zeitungsredaktionen, Parteien oder muslimische Vereine verschickt haben. Der Brief an die Nürnberger Nachrichten aber ist unfrankiert. „Das erinnere ich genau, weil unsere Sekretärin die Briefmarken sonst sammelte“, sagt Fuehr. Es musste also jemand persönlich den Brief eingeworfen haben. Zschäpe selbst war es wohl nicht – ihr rekonstruierter Fluchtweg führte gen Norden. „Also war es ein Helfer“, sagt Fuehr. „Einer, den wir bis heute nicht kennen.“
Herbert Fuehr recherchierte mit Kollegen nach Helfern des NSU vor Ort, prüfte Kontakte lokaler Szenegrößen nach Thüringen und mögliche konspirative Wohnungen in Tatortnähe – letztlich erfolglos. Dann ging er in Rente. Heute ist er in einem Nürnberger Bündnis gegen Rechtsextremismus aktiv. Er sagt: „Aus meiner Sicht muss es in Nürnberg Helfer mit Ortskenntnis gegeben haben. Die Tatorte sind sonst nicht zu finden.“ Fuehr gab damals Hinweise an die Polizei weiter. „Von dort habe ich aber nie mehr etwas gehört.“
Tatsächlich gibt es Auffälligkeiten bei allen Nürnberger Tatorten. So war bei der „Sonnenschein“-Bar von außen nicht erkennbar, dass sie von einem Migranten betrieben wurde. Gleiches galt für die Schneiderei von Abdurrahim Özüdoğru. Auch der Blumenstand von Enver Şimşek lag abgelegen und war nur unregelmäßig und an wenigen Tagen aufgebaut. Der verschlungene Weg, auf dem sich laut Zeugen zwei Radfahrer – Mundlos und Böhnhardt, wie sich später herausstellte – nach dem Mord an İsmail Yaşar vom Tatort entfernten, sei auch nur Ortskundigen bekannt, betont Fuehr.
Untersuchungsausschüsse hielten zudem fest, dass sich Neonazis vom „Thüringer Heimatschutz“, zu dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gehörten, schon in den neunziger Jahren mit Nürnberger Szenefreunden trafen, etwa in der Gaststätte „Tiroler Höhe“.
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Die Bundesanwaltschaft gibt sich zu der Unterstützer-Frage in Nürnberg jedoch wortkarg. Aktuell bestätigt sie nur die neun noch offenen Helferverfahren, darunter jene gegen Mandy Struck und Susann Eminger. Für weitere Unterstützer wie Matthias Fischer, Christian W. oder Jürgen F. fehle es an einem konkreten Tatverdacht. Für die Bundesanwaltschaft spricht vieles daher dafür, dass das Trio nach dem Abtauchen tatsächlich eng abgeschirmt lebte und in tagelangen Erkundungen seine Opfer selbst ausspähte.
Die Opferfamilien und ihre Anwälte kritisieren, dass sie bis heute keine Akteneinsicht zu den neun noch offenen Verfahren bekommen – was die Bundesanwaltschaft mit den noch laufenden Ermittlungen begründet. Auch fordern sie endlich Anklagen. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Verfahren demnächst eingestellt werden. Da schon der engste Trio-Vertraute André Eminger im NSU-Prozess einen Teilfreispruch erhielt, ist ein Schuldnachweis für die weiteren Verdächtigen noch schwieriger.
Birgit Mair fürchtet diesen Tag. „Das würde für die Opfer noch mal eine Ohrfeige sein.“ Die 54-Jährige gehört in Nürnberg zu den Engagierten, die sich seit Jahren für die NSU-Aufklärung einsetzen. Sie verfolgte Untersuchungsausschüsse und den Münchner Prozess, hielt Kontakt zu den Opferfamilien, setzte sich für Gedenkorte ein, konzipierte eine Ausstellung zu den NSU-Betroffenen, die bundesweit gezeigt wurde. Und es ist ihr Verein – das Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung –, der Semiya Şimşek und Gamze Kubaşık zu dem Onlinegespräch im Oktober einlud.
Auch Birgit Mair glaubt, dass es bisher nicht verfolgte NSU-Helfer in ihrer Stadt gibt. „Aber der Wille, sie zu überführen, ist nicht da. Denn wenn man das ganze Netzwerk anklagen würde, käme man an den V-Leuten nicht vorbei. Und da will dieser Staat nicht ran.“
Es ist ein Fazit, das so ähnlich auch der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag fällte. Eine „strukturelle Aufhellung des breiteren Unterstützernetzwerks ist nicht erfolgt“, heißt es in dessen Abschlussbericht. Dabei sei „deutlich ersichtlich, welche Protagonisten und Netzwerke an deren einzelnen Tat- und Aufenthaltsorten Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hatten“.
Auch die Nürnberger Lokalpolitik sieht Aufklärungsbedarf. Auf Druck zivilgesellschaftlicher Initiativen, auch der von Mair, verabschiedete der Stadtrat im Mai eine Resolution, in der ein zweiter bayerischer NSU-Untersuchungsausschuss gefordert wird. Besonders zum Anschlag auf die „Sonnenschein“-Bar sei bis heute vieles ungeklärt, ebenso „die Unterstützerszene des NSU in Nürnberg“, heißt es dort. „Als Stadt, in der diese Verbrechen passierten, ist es unsere Aufgabe, Aufklärung einzufordern.“ Oberbürgermeister Marcus König, ein CSU-Mann, teilt die Forderung: Eine „lückenlose Aufklärung“ und einen zweiten U-Ausschuss sei man „den Opfern und Hinterbliebenen schuldig“.
Das Problem ist nur: Die Opfer haben die Hoffnung auf Aufklärung fast verloren – und ihr Vertrauen in den deutschen Staat. „Natürlich haben wir kein Vertrauen mehr, nach allem, was passiert ist“, sagt Semiya Şimşek. „Und wenn dieser Staat so weitermacht, werden immer weitere Morde passieren.“ Es ist auch diese Enttäuschung, die Şimşek in die Türkei zog.