Spricht für sich ...
Herr Tempel, wie oft waren Sie in den vergangenen Monaten auf der Straße?
Ich war nicht nur die vergangenen Monate auf der Straße, ich bin seit vier Jahren auf der Straße.
Die aktuellen Proteste der Landwirte wurden vor allem durch die geplante Kürzung von Subventionen ausgelöst. Ist das nach wie vor das zentrale Thema?
Wenn wir ehrlich sind, ist die Sache mit dem Agrardiesel eigentlich ein Witz. Würden wir einen Cent mehr für die Milch bekommen, dann könnte der Diesel theoretisch das Dreifache kosten. Die Landwirtschaft hat ein grundsätzliches Einnahmeproblem. Die geplante Streichung der Agrardiesel-Subvention war letztlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Bereits vor vier Jahren habe ich gemerkt, dass es in der Branche so nicht weitergehen kann und war kurz davor, nach Kanada auszuwandern. Damals ging es vor allem um die Düngeverordnung. Dann habe ich gemerkt, dass es vielen Landwirte ähnlich ging wie mir und wir haben uns zusammengeschlossen. Seitdem hat sich allerdings nichts zum Besseren gewendet. Der Protest ist zwar zwischenzeitlich wieder zurückgegangen, weil viele resigniert haben, hat aber eigentlich nie aufgehört.
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Um noch einmal nachzuhaken: Die unangemeldeten Aktionen auf der B5, der Glienicker Brücke und bei Groß Glienicke, wie wurden diese geplant?
Ich wusste lediglich, dass an diesem Wochenende ab Sonntag, 22 Uhr, eine Aktion laufen soll. Alles andere habe ich dann eigentlich erst auf dem Weg dahin mitbekommen. Ich bin einfach von meinem Hof in Niedersachsen losgefahren. Diesmal mit meinem Auto, nicht mit dem Schlepper. Das einzige, was ich zuvor wusste, war, dass man sich östlich von Wolfsburg, irgendwo bei Stendal treffen wollte.
Woher wussten Sie das?
Mund-zu-Mund-Propaganda. Diese Absprachen laufen fast nur noch mündlich, in den Chatgruppen wird das nicht mehr kommuniziert. Erstens liest dort die Polizei mit, zweitens gibt es dort immer wieder Menschen, die einem die Aktionen kaputt reden wollen. Deswegen haben wir unsere Taktik geändert. Alles läuft über Absprachen. Man trifft sich irgendwo, sammelt Mitstreiter ein, fährt weiter zum nächsten Punkt und begegnet dort weiteren Teilnehmern. Und so weiter. So ging es dann von Stendal in Richtung Berlin.
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Auf der dunklen Schnellstraße wurden nicht nur Misthaufen, sondern auch Baumstämme abgeladen. Mehrere Autofahrer krachten in die gefährlichen Hindernisse, fünf Menschen wurden verletzt. Auf dem Abschnitt sind 100 km/h erlaubt. Man kann von Glück sprechen, dass niemand ums Leben kam.
So wie Sie es darstellen, ja. So war es aber nicht nach der Darstellung von den Menschen vor Ort.
Wie lautet deren Darstellung?
Die Schlepper haben mit ihren Anhängern die nachfolgenden Autos ausgebremst. Erst dann wurden der Mist und das Holz auf die Straße gekippt. Der Verkehr stand. Direkt hinter den Traktoren wartete ein Lkw im Stau. Der ist auf einmal losgefahren und durch den Mist durchgefahren. Die Autos sind einfach hinterhergefahren. Dann ist es passiert. Es gilt immer noch die Straßenverkehrsordnung. Menschen, die einen Führerschein haben, haben gelernt, auf halbe Sichtweite anzuhalten. Ich will das damit nicht entschuldigen, das hätte besser laufen können. Aber letztendlich muss man auch sagen: Was hat man für Möglichkeiten, sich zu wehren?
Sowohl die Polizei als auch verunfallte Autofahrer widersprechen dieser Darstellung. Die Polizei meldet, dass Gülle und Mist über mehrere hundert Meter auf der Fahrbahn verteilt worden sind. Ein Autofahrer berichtet in der „Märkischen Oderzeitung“, dass er in der Dunkelheit ungebremst mit 80 km/h in einen Misthaufen gefahren sei. Die B5 sei auf diesem Abschnitt nicht gesperrt gewesen.
Ich habe vor Ort mit Fahrern gesprochen und mir Videos angeguckt. Die Fahrer haben berichtet, sie seien ausgebremst worden.
Die Feuerwehr Elstal, die den Rettungseinsatz in der Nacht leitete, zeigte sich im Nachgang bestürzt von den Ereignissen. Es habe nicht nur die Rettungsgasse gefehlt, die Kameraden seien auch von Teilnehmern der Blockade aggressiv angegangen worden. Außerdem flog ein Kaffeebecher auf den Einsatzleiter. Einen Einsatz wie diesen habe er noch nie erlebt, berichtete der Feuerwehrmann im Anschluss. Haben Sie von den geschilderten Vorfällen etwas mitbekommen?
Ich finde es schade, dass dieser Bericht öffentlich geworden ist. Es ist indiskutabel, dass jemand einen Kaffeebecher auf Einsatzkräfte schmeißt. Das haben wir mit der Feuerwehr vor Ort auch besprochen. Da hat sich jemand im Ton vergriffen, dafür haben wir uns auch entschuldigt und dachten damit wäre es aus der Welt geschaffen.
Wieso haben Sie keine Rettungsgasse freigehalten?
Das stimmt nicht. Die Polizei hat die Rettungsgasse zugeparkt. Die mussten jedes Mal die Autos wegfahren, damit die Feuerwehr durchkommt. Polizeiautos standen sehr unglücklich, die Beamten hatten aber auch keine Eile, die Feuerwehr durchzulassen, das wirkte sehr gemütlich. Bei uns war alles tipptopp. Die Feuerwehr vor Ort muss so erbost gewesen sein, dass sie uns die negative Berichterstattung mit der Rettungsgasse zugeschoben hat.
Die Feuerwehr lügt?
Nein, aber es ist in meinen Augen falsch dargestellt worden.
Dem Tagesspiegel liegt ein Video aus der Nacht vor, das die fehlende Rettungsgasse belegt. Feuerwehrautos mit Martinshorn bleiben minutenlang in der Blockade stecken und kommen nicht durch.
Das ist mir nicht bekannt. Ich bin nicht zu jeder Zeit überall gewesen. Eventuell ist das an einer anderen Stelle passiert.
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Mal abgesehen davon, dass alle großen Medien des Landes seit Anfang des Jahres kontinuierlich über die Probleme der Landwirte und deren meist friedliche Proteste berichten: Stehen Sie persönlich dahinter, dass der Protest radikaler wird?
Die vier Jahre gute Presse, die wir hatten, hat uns keinen Zentimeter weitergebracht. Viele von uns haben aus wirtschaftlicher Sicht nur noch ganz wenig Zeit. Einige sind schon insolvent, andere ersticken gerade finanziell. Derjenige, der erstickt, der haut um sich. Viele versuchen alles, um zu überleben. Ich hab in den letzten Jahren 30 Prozent mehr Ausgaben. Entweder es ändert sich etwas politisch oder ich wandere aus.
Was mich gleichzeitig sehr stört, dass meine Steuergelder für Waffen draufgehen, die nach Russland gerichtet werden. Da hört der Spaß auf. Wir werden steuerlich geknechtet, von unserem Geld werden Menschen umgebracht. Da finde ich drei zerstörte Autos ehrlich gesagt einen Witz gegen. ...
Am Montag wurde schließlich das Brandenburger Abschleppunternehmen bedroht und angefeindet, das von der Polizei beauftragt wurde, die Traktoren von der Fahrbahn der B5 zu schleppen. Der Inhaber berichtet auch von Morddrohungen durch Sympathisanten der Traktoren-Blockade.
Es gibt leider Menschen, die weit über das Ziel hinausschießen. Das ist eine Dynamik, die nicht sein muss. Die Menschen vor den Bildschirmen zu Hause verlieren bedauerlicherweise jegliche Hemmungen, das ging weniger von den Protestierenden vor Ort aus. Bedrohungen sind abzulehnen. Ich würde anders handeln und beispielsweise dem Abschleppunternehmen keine Aufträge mehr liefern. Bedrohungen sind nicht meine Art.