Macht nen guten und realistischen Eindruck.
Herr Bernstein, Sie sind in Marzahn, im Osten Berlins, groß geworden. Was hätte passieren müssen, um Fan des 1. FC Union zu werden – und nicht von Hertha BSC?
Der Kumpel, der mich mit zu Hertha genommen hat, hätte mich wahrscheinlich mit in die Alte Försterei statt ins Olympiastadion nehmen müssen. Wobei Union zu dieser Zeit…
… wir reden von 1994...
...nur Oberligist war. Da war selbst der BFC noch größer, zumindest bei uns in Marzahn auf dem Schulhof. Am Ende war es wahrscheinlich Zufall, dass mein Kumpel gesagt hat: Lass uns ins Olympiastadion fahren! Gut so, wie es gekommen ist.
Die Geschichte der Beziehung von Hertha und Union ist bekannt: die Fanfreundschaft zu Zeiten der Teilung, das gegenseitiges Desinteresse und jetzt eine echte Rivalität bis hin zu – manche sagen sogar – Hass. Ist Ihr Verhältnis zu Union anders als das der Ultras von heute?
Mit Sicherheit, weil ich ja mein Fandasein in Zeiten der Freundschaft zu Union begonnen habe. Ich habe noch mitbekommen, dass die Freundschaft im Stadion gelebt und zelebriert wurde. Und zwar von beiden Seiten. Man kann eigentlich sagen, dass es die zweite Generation der Union-Ultras war, die das normale, entspannte Verhältnis nicht mehr gewollt und ein bisschen Öl ins Feuer gegossen hat.
Wie hat sich das geäußert?
In erster Linie verbal. In zweiter Linie aber auch: Wir fangen an, uns gegenseitig Fahnen zu klauen, uns aufzulauern. Das war – Kindergarten. Aber so schaukelt sich das halt ein bisschen hoch. Die Jungen wollen sich profilieren und sich beweisen. Die Frage ist, wie die Fanszene reagiert, ob sie sagt: Okay, bis hierhin und nicht weiter, jetzt lasst mal den Quatsch! Das haben die Älteren bei Union nicht gemacht, und von daher haben wir jetzt diese Rivalität. Eine gesunde Rivalität. Von Hass würde ich nicht sprechen. Ich selbst habe in meinem Freundeskreis viele glühende Union-Fans. Mit einigen spiele ich regelmäßig sonntags Fußball.
Bedauern Sie, dass es die Freundschaft von früher nicht mehr gibt? Unter all den Derbys wäre das schon fast ein Alleinstellungsmerkmal.
(Überlegt lange) Ja, wenn beide Seiten das so weiter gelebt hätten wie es zu Beginn war. Aber ich glaube auch, dass die Freundschaft vor allem unter den Bedingungen der geteilten Stadt entstehen konnte. Durch die Wende hätte sich das wohl ohnehin erübrigt. Von daher bin ich eher froh, dass es eine gesunde Rivalität gibt und wir uns gegenseitig ein bisschen als Fixpunkt haben. Wir wollen wieder besser werden als Union und nicht wieder beide Derbys verlieren. Im Pokal werden wir in dieser Saison ja leider nicht mehr gegeneinander spielen.
Was kann Hertha von Union lernen?
Die Ruhe. Und wie man es schafft, die Themen im Haus zu halten. Aber man kann die Frage auch mal an die Medien zurückgeben: Warum ist es um Union so ruhig, und warum polarisiert Hertha so?
Was denken Sie?
Weil wir in den letzten Jahren vielleicht doch ein bisschen großkotzig dahergekommen sind. Deshalb werden uns unsere Verfehlungen immer doppelt aufs Brot geschmiert. Eigentlich hat Union die gleichen Themen und Sorgen wie wir. Das ist nicht viel anders. Es wird nur anders dargestellt.
...
Wie viel Fan steckt noch in Ihnen?
100 Prozent. Ich springe auf, freue mich, bin sauer und enttäuscht. Meine Leidenschaft und Emotionen sind nicht plötzlich weg, nur weil ich jetzt dieses Amt innehabe. Ich werde noch genauso von der Hoffnung gepeitscht, dass wir gewinnen. Im Urlaub habe ich lange darüber nachgedacht, wie ich mit dem Stempel Ex-Ultra umgehe.
Ich kann mich auf den Kopf stellen, ich werde den sowieso nicht los. Also sage ich: Ich nutze die positiven Attribute der Ultra-Bewegung wie Einsatzbereitschaft für den Verein, sich aufopfern, Zeit investieren, soziales Engagement zeigen. Wenn ich Vollzeit-Präsident im Ehrenamt bin und all das beherzige, dann ist das auch Ultra. Nur nicht mehr in der Kurve, sondern in der Vereinsführung.
https://plus.tagesspiegel.de/sport/hert ... 28758.html
Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.
(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
Gruß
erpie