Wor­über der Fuß­ball nicht reden will

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erpie
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Wor­über der Fuß­ball nicht reden will

Beitrag von erpie »

Es passt in jede Kategorie hier in diesme Forum, packe es aber hier in internationaler Fußball, da es im Artikel um die Premier League geht:
Mason Green­wood ist nicht mehr Spieler von Man­chester United. Das gab der Pre­mier-League-Klub am Mon­tag­nach­mittag bekannt. Der Stürmer war seit Januar 2022 sus­pen­diert. Ihm war vor­ge­worfen worden, dass er ver­sucht habe, seine Freundin zu ver­ge­wal­tigen. Es exis­tieren Audio­auf­nahmen von der Tat, auf denen der Spieler zu hören sein soll. Das Opfer teilte später auch Fotos ihrer Ver­let­zungen auf Insta­gram. Trotzdem wurde das Ver­fahren im Februar 2023 ein­ge­stellt, die Staats­an­walt­schaft betonte, dass ​„eine Kom­bi­na­tion aus dem Rückzug wich­tiger Zeugen und neuem Mate­rial“ dazu geführt habe, dass keine rea­lis­ti­sche Aus­sicht auf eine Ver­ur­tei­lung mehr bestehe. Der Verein kün­digte dar­aufhin an, selbst Ermitt­lungen anzu­stellen. Nun wurde Green­woods Ver­trag auf­ge­löst.

Das ist also die gute Nach­richt, die schlechte lautet: Green­wood, 21 Jahre, wird andern­orts wei­ter­spielen. Am liebsten wäre es einigen Ver­ant­wort­li­chen bei Man­chester United sogar gewesen, wenn er das bei ihrem Verein getan hätte. Ent­schei­dend ist ja auf dem Platz. Das war doch immer so.
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Seit einigen Jahren häufen sich Vorwürfe des Macht­miss­brauchs im Pro­fi­fuß­ball. Es geht dabei um Spieler und Funk­tio­näre, die körperliche, psy­chi­sche, mediale, juris­ti­sche und wirt­schaft­liche Gewalt gegenüber Frauen ausüben. Um Fuß­baller, die aus der Mitte eines männlichen und mächtigen Sys­tems heraus agieren, in dem sie sakro­sankt geworden sind, schil­lernde Helden, Alph­ab­osse, Fußballgötter, unfehlbar und gepan­zert, mit Mil­li­arden von Fans.

In den Ver­einen und Verbänden findet kaum eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema statt, und beim kol­lek­tiven Schweigen können sich viele auf ihre Fans ver­lassen, deren vor­nehm­li­ches Inter­esse es eben­falls ist, dass der 100-Mil­lionen-Euro-Neu­zu­gang sie zur Meis­ter­schaft oder in die Cham­pions League schießt, aber keine Debatte um mög­liche Grenzüberschreitungen abseits des Platzes. Selbst wenn der Spieler gerade zum x‑ten Mal wegen häuslicher Gewalt vor Gericht steht. Ist es Igno­ranz? Feh­lende Empa­thie? Ohn­macht? Angst? Resi­gna­tion? ​„Der Fuß­ball muss den Mut haben, dieses Gespräch zu führen“, sagt Star­ling. ​„Denn ich glaube, es fehlt der Mut, sich der kom­plexen Rea­lität zu stellen, dass Fuß­baller absolut her­vor­ra­gende Sportler sein und gleich­zeitig Frauen ver­letzen können.“
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Auto­kra­ti­sche Staaten über­nehmen Ver­eine wie PSG oder New­castle United, hoch­ran­gige Ver­bands­mit­ar­beiter oder Poli­tiker lassen sich mit Mil­lionen von Euro schmieren, der FIFA-Prä­si­dent Sepp Blatter begrapscht die US-Fuß­bal­lerin Hope Solo, der spa­ni­sche Ver­bands­prä­si­dent Luis Rubiales wird bei einer Sie­ger­eh­rung auf­dring­lich. Wenn der Fuß­ball also so ist – kor­rupt, über­griffig, unmo­ra­lisch –, dann darf man ja wohl den neuen Super­spieler, ganz egal, was er wann und wo getan hat, mit gebüh­render Vor­freude emp­fangen. Fuß­ball ist Fuß­ball, Politik ist Politik – und privat ist privat. Oder etwa nicht?

Im eng­li­schen Fuß­ball sind die Vorwürfe gegen Ronaldo und Green­wood keine Ein­zel­fälle. Im Gegen­teil. Sie haben fast schon Tra­di­tion. Zahl­reiche Spieler konnten auch nach Gefäng­nis­strafen noch veri­table Kar­rieren hin­legen. Ein Bei­spiel unter vielen ist der erwähnte Stürmer Marlon King, der in der Pre­mier League unter anderem für Not­tingham und Wat­ford spielte. Während seiner Kar­riere musste er sich 14 Mal vor Gericht ver­ant­worten, mehr­mals wurde er wegen Gewalt gegen Frauen ver­ur­teilt. Einmal fasste er einer 20-jährigen Frau in einem Nacht­klub an den Po. Als sie sagte, dass er das sein lassen sollte, betatschte er sie erneut, schlug ihr ins Gesicht und schrie: ​„Weißt du nicht, wer ich bin?“ Er erhielt eine acht­zehn­mo­na­tige Gefängnisstrafe und wurde für sieben Jahre als Sexualstraftäter regis­triert. Er sagte dazu: ​„Ich bin bestimmt kein Engel, aber ich bin auch kein Sex­biest. Es ist lächerlich zu behaupten, ich hasse Frauen.“ Eine steile These. Aber auch King fand später immer wieder Ver­eine, zum Bei­spiel Coventry City. Und wenn die geg­ne­ri­schen Fans sangen: ​„She said no, Marlon, she said no!“, ant­wor­teten die Coventry-Fans: ​„He scores goals, Marlon, he scores goals!“ Die Show musste wei­ter­gehen.
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Auf einen ähn­li­chen Folk­lore-Effekt hatte Man­chester United ver­mut­lich auch bei Green­wood gehofft. Die Ent­schei­dungs­fin­dung über die Zukunft des Spie­lers zog sich jeden­falls in die Länge. Viel­leicht lag es wirk­lich daran, dass der Klub interne Ermitt­lungen aus­werten wollte. Aber es fühlte sich anders an. Als wollten die Ver­ant­wort­li­chen mal aus­loten, wie weit sie gehen können, was alles noch mög­lich ist im kapi­ta­lis­ti­schen Super­fuß­ball. Denn hey, liebe Fans und Kunden, Mason Green­wood hat einen fan­tas­ti­schen linken Fuß. Ihr wollt doch Titel, oder?

Einige stimmen in diesen Tenor ein. Ver­gan­gene Woche ging ein Best-of-Video von Green­woods Toren und Assists auf You­Tube online.Am selben Tag ent­hüllte das Portal ​„The Ath­letic“ Interna: Man­United-Geschäfts­führer Richard Arnold habe dem Vor­stand in der Som­mer­pause mit­ge­teilt, dass Mason Green­wood bald zur Mann­schaft zurück­kehren werde. Am 4. August wollte der Klub diese Ent­schei­dung mit einem Video ver­künden.

Aber dann wurde es unruhig. Anhänger drohten damit, ihre Dau­er­karten zu zer­reißen, die bekannte Fern­seh­mo­de­ra­torin Rachel Riley schrieb im ​„Guar­dian“, dass sie Man­chester United im Falle einer Green­wood-Rückker nicht mehr unter­stützen werde.
...Banner im Old Traf­ford: ​„Weib­liche Fans gegen die Rück­kehr von Green­wood – Schluss mit der Gewalt gegen Frauen“. Die Frauen schrieben auf Twitter: ​„Dies ist ein Wen­de­punkt für den Verein. Stellt er sich auf die Seite des Kom­merzes, der Tro­phäen und des Geldes? Oder wird er sich auf die Seite der Anhänger stellen?“
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Der Fall Green­wood könnte als Wen­de­punkt gelesen werden, einer­seits. Denn man könnte auch ernüch­tert kon­sta­tieren, dass Green­wood ein­fach nicht so mächtig und groß ist wie Ronaldo. Er ist gerade mal 21 Jahre alt, ein talen­tierter Fuß­baller, das schon, aber keine mil­li­ar­den­schwere Marke. So einen wie ihn kann man öffent­lich aus der Spie­ler­fa­milie ver­bannen. Nach seiner Fest­nahme Anfang 2022 been­deten sogar einige Top­spieler ihre Social-Media-Freund­schaften zu ihm. Dar­unter auch Cris­tiano Ronaldo.
https://11freunde.de/artikel/worueber-d ... ttansicht=
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(Oscar Wilde)
Weil das Denken so schwierig ist, urteilt man lieber.
(Sandor Márai)
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Linden
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Re: Wor­über der Fuß­ball nicht reden will

Beitrag von Linden »

Ist halt überall gleich wo sich Macht und/oder Geld häufen.
Machen wir uns nix vor, die Menschheit ist grundsätzlich einfach krass bescheuert.

Ceterum censeo ruborem taurum esse delendam.

Tod und Hass dem Putinregime