Klimaphysikerin Friederike Otto im Gespräch

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erpie
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Klimaphysikerin Friederike Otto im Gespräch

Beitrag von erpie »

Das Interview ist hinter der Bezahlschranke, auch bezeichnend!

Zur Person
Friederike Otto, 41, ist Physikerin und Philosophin. Von 2011 bis 2021 war sie an der Universität Oxford tätig und leitete dort drei Jahre lang das Environmental Change Institute, das sich mit Umweltveränderungen beschäftigt. Otto hat die Zuordnungsforschung mitbegründet, die erforscht, inwieweit Extremwetterlagen als Folgen des Klimawandels eingestuft werden können. Inzwischen arbeitet sie am Imperial College in London. Sie war eine Leitautorin des neuesten Sachstandsberichts des Weltklimarats und stand 2021 auf der „Liste der 100 einflussreichsten Personen“ des „Time Magazine“.

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www.tagesspiegel.de
Klimaphysikerin Friederike Otto im Gespräch: „Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass Wetter in Deutschland tödlich sein kann“
Ruth Ciesinger
11 - 14 minutes

Frau Otto, das „Time“-Magazin hat Sie als Klimaphysikerin in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen gewählt. Jetzt schreiben Sie in Ihrem Buch, die Klimakrise ist kein physikalisches Problem, das mit technischen Mitteln gelöst werden kann. Wollen Sie Ihren Job abschaffen?
Solange wir die Klimakrise als rein physikalisches Problem betrachten, erkennen wir ihre grundlegenden Ursachen nicht. Selbstverständlich wirken sich mehr Treibhausgase in der Atmosphäre physikalisch aus. Aber die kommen dorthin, weil wir fossile Energieträger verbrennen.
Das wiederum ist die Grundlage unseres globalen Wirtschaftsmodells, das darauf beruht, Menschen und Natur für ein relativ kurzfristiges Maximieren von finanziellen Profiten auszunutzen. Und das ist die eigentliche Ursache für die Klimakrise.

Wie meinen Sie das?
Schauen wir rein auf die Physik, entsteht der Trugschluss, wir müssten nur auf technische Lösungen warten, um das CO₂ aus der Atmosphäre wieder herauszukriegen. Als wäre die Klimakrise ein Asteroid, den wir mit einer Bombe stoppen können.
Technische Lösungen beenden aber nicht die Ausbeutung von Menschen und Natur, die unserem Wirtschaftsmodell zugrunde liegen. Die realen Folgen der Klimakrise für Gesellschaften hängen vor allem davon ab, wie verletzlich sie sind. Deshalb ist der Klimawandel vor allem ein Gerechtigkeitsproblem und eine sozialpolitische Herausforderung.

Sind Sie wütend?
Ja, schon. Mich frustriert, dass wir bei der Klimakrise so viel über Technologien, aber überhaupt nicht über Menschenrechte sprechen. Wir nehmen die Gier einiger weniger wichtiger als die Menschenrechte aller. Dass ein Ölstaat wie Saudi-Arabien das macht, kann ich nachvollziehen. Aber wenn Wissenschaftler:innen diese Brille aufsetzen, verstehe ich das überhaupt nicht.

Der Untertitel Ihres Buches lautet „Was die Klimakrise mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat“. Damit überladen Sie doch den Kampf gegen die Klimakrise komplett.
Im Gegenteil. Unser Problem ist, dass wir die Klimakrise als eine zusätzliche Herausforderung zu den Problemen von Rassismus, Kolonialismus oder postkolonialen Strukturen sehen. Das führt dazu, dass wir uns von den vielen Krisen überwältigt fühlen und gar nichts mehr tun.
Dabei hängen die Lösungen dieser Krisen miteinander zusammen. Mit dieser Betrachtung überladen wir die Klimakrise nicht, sondern sehen sie als ein Problem unserer Welt, so wie wir sie geschaffen haben. Der Kampf gegen globale Ungerechtigkeit und Ungleichheit schafft überhaupt erst die Möglichkeiten, die Klimakrise sinnvoll zu bekämpfen. Denn der Klimawandel betrifft nicht irgendwie den Planeten und die Natur, sondern ganz direkt unser Leben und unsere fundamentalen Rechte.

Wir haben zuletzt jedes Jahr Hitzewellen erlebt, die es ohne den Klimawandel so niemals gegeben hätte.
Friederike Otto

Inwiefern ist unser Verhalten in Deutschland denn rassistisch im Blick auf den Klimawandel?
Bei uns wird der Klimawandel als etwas wahrgenommen, das „die anderen“ betrifft, die Armen im globalen Süden. Dafür fühlt man sich nicht verantwortlich und damit auch nicht dafür, Strukturen im eigenen Umfeld zu ändern.
Mit dieser Haltung schaden wir uns aber auch selbst: Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass Wetter in Deutschland tödlich sein kann. Wer sich darauf verlässt, dass die Strukturen hierzulande dem Klimawandel gewachsen sind, kann das mit dem Leben bezahlen. Im Ahrtal hat niemand den Menschen erklärt, dass bald eine tödliche Flut ihr Haus wegschwemmen wird. Oder der Umgang mit Hitzewellen: In Deutschland sind die Todeszahlen sehr hoch, einfach weil es kein Gefahrenbewusstsein gibt.

Sie erforschen, welche Extremwetterereignisse mit dem Klimawandel zusammenhängen. Wie verändert der Klimawandel das Wetter?
Wir haben zuletzt jedes Jahr Hitzewellen erlebt, die es ohne den Klimawandel so niemals gegeben hätte. Insgesamt sind Hitzewellen deutlich wahrscheinlicher geworden, teilweise bis zu tausendmal. Bei anderen Extremereignissen wie Niederschlägen und in der Folge Überschwemmungen ist das anders, da sind die regionalen Unterschiede groß. Ähnlich ist es bei Dürren.

Wenn Sie Extremwettereignisse untersuchen, was erfahren Sie dabei über die jeweilige Gesellschaft?
Was funktioniert in einer Gesellschaft und was nicht? Gibt es Wettervorhersagen, gibt es Frühwarnsysteme? Wer hat Zugang dazu? Dann spielt eine Rolle, wie die Menschen leben. In Kapstadt zum Beispiel wohnt der Großteil der Bevölkerung in Hütten ohne Wasseranschluss, die extrem anfällig für Hitzewellen sind, weil sie nicht isoliert sind. In den Villenvierteln dagegen ist das Wetter fast irrelevant.
In unterschiedlichem Ausmaß ist das überall auf der Welt so: Geld, Bildung, Zugang zur Gesundheitsversorgung, soziale Sicherungssysteme - das alles spielt eine große Rolle dafür, ob ein Extremwetterereignis für einen zur Naturkatastrophe wird oder nicht.

Wenn eine Dürrekatastrophe also kein Schicksal ist, sondern Folge einer ungerecht strukturierten Gesellschaft, was folgt dann daraus für den Kampf gegen den Klimawandel?
Daraus folgt, dass wir nicht nur weltweit aufhören müssen, fossile Energieträger zu verbrennen, sondern auch gezielt lokal und regional investieren müssen, damit weniger Ungleichheit in der Gesellschaft herrscht. Ohne soziale Sicherungssysteme bedeutet ein Extremwetterereignis für diejenigen, die von der Landwirtschaft abhängen, dass sie Hunger leiden, kein Saatgut für die nächste Saison haben und somit keine Möglichkeit mehr, wieder auf die Beine zu kommen.
Die Klimawandelfolgen verstärken die ohnehin bereits vorhandenen Ungleichheiten in einer Gesellschaft. Und je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto instabiler ist sie.

Sie kritisieren ein „kolonial-fossiles Wirtschaften“. Ungerechtigkeit und Kolonialisierung gab es aber auch schon lange vor der Industrialisierung und dem massiven Verbrennen fossiler Energieträger …
Unser aktuelles Weltbild baut darauf auf, Dinge zu verbrauchen, die keine Verbrauchsgüter sind: Menschenleben und fossile Brennstoffe, die wir als unendlich betrachten und als Ressource, die folgenlos verbrannt werden kann. Im Verlauf der Industrialisierung haben wir die krassesten Ungleichheiten aus Europa in den globalen Süden ausgelagert, sodass innerhalb der europäischen Gesellschaften der Lebensstandard allgemein stieg.
Im Ergebnis dominiert jetzt die Erzählung, dass Wohlstand und gutes Leben kausal mit Industrialisierung und dem Verbrennen fossiler Energien einhergehen und wir in der bestmöglichen aller Welten leben. Jede Veränderung dieses Zustands wird als Bedrohung empfunden. Die perfekte Welt wurde Ende der 70er Jahre erreicht und muss erhalten werden, alles andere ist Verzicht – diese Haltung meine ich, wenn ich von dem dominierenden kolonial-fossilen Narrativ spreche, und deshalb hebe ich es als besonders problematisch hervor.

Sie sagen das so, als ob es etwas Negatives wäre, etwas zu verändern. Als wäre unsere Welt heute perfekt für viele Menschen.
Friederike Otto

Sie sagen auch, dass eine Welt, die Afrikas Lebenswirklichkeit weiterhin ignoriert, sich selbst in Gefahr bringt.
Wenn Extremwetterereignisse die Ungleichheit in Gesellschaften immer weiter verschärfen und diese instabiler machen, erschwert das die globale Zusammenarbeit. Handel treibt sich besser in einer stabilen Welt mit klaren Strukturen.
Um die Klimakrise zu stoppen, müssten Länder und Personen, die von der Klimaungerechtigkeit profitieren, am meisten ändern. Gleichzeitig spüren sie selbst am wenigsten Druck dazu. Ein Dilemma.
Sie sagen das so, als ob es etwas Negatives wäre, etwas zu verändern. Als wäre unsere Welt heute perfekt für viele Menschen. Dabei sind erneuerbare Energien schon heute deutlich billiger als fossile Energieträger. Jeder sechste Todesfall weltweit hängt mit der Umweltverschmutzung zusammen. Wir haben unsere Städte für Autos gebaut und nicht für Menschen. Auch die Menschen im globalen Norden profitieren nicht von der Welt, in der wir heute leben.

Ein Erdgasunternehmen profitiert schon davon, wenn ich mit Gas heize und nicht mit Erdwärme.
Aber das sind einzelne Menschen, nicht die Gesellschaft insgesamt. Das reiche Dubai, wo die vergangene Weltklimakonferenz stattgefunden hat, ist eine dystopische Welt. Eines der größten Gaskraftwerke weltweit steht mitten in der Stadt, die Stadt selbst besteht aus sechsspurigen Autobahnen und klimatisierten Einkaufszentren, draußen kann man kaum atmen.
Die Bewohner Dubais profitieren von der Gasförderung nur im finanziellen Sinne, aber nicht in allem anderen, was Leben ausmacht. Das meine ich, wenn ich sage, dass wir in diesem Narrativ gefangen sind, dass unsere fossile Welt die beste aller möglichen ist.

Mit welchen anderen Narrativen bringt man jemanden zum Handeln?
Jedenfalls nicht mit der Klima-Apokalypse. Das führt nur dazu, dass sich die Menschen ohnmächtig fühlen und denken: Okay, der Asteroid ist im Anflug, ich kann nichts tun. Was uns fehlt, ist ein positives Narrativ: Was gewinne ich, wenn wir unsere Gesellschaftsstrukturen ändern, wenn wir unsere Wirtschaftsstrukturen ändern? Wir haben den Sportwagen auf der Autobahn als Symbol für unbegrenzte Freiheit. Aber wir haben noch kein cooles Symbol für Freiheit in einer Welt, die nicht auf Zerstörung und Ausbeutung anderer aufgebaut ist. Leider weiß ich auch noch nicht, wie es aussehen kann.

Was für ein Bild haben Sie denn für sich selbst?
Die Vorstellung, ich könnte in einer Stadt leben ohne Autoverkehr, in der es nicht laut und schmutzig ist, sondern in der ich überall in Cafés oder einfach so auf der Straße sitzen kann, die einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr hat, in der ich einfach draußen und drinnen leben kann, diese Vorstellung ist für mich eine wahnsinnig tolle Zukunftsvision. Aber das gilt natürlich nicht für jede und jeden von uns.
Ich glaube auch nicht, dass ein einzelner Mensch solche Symbole entwickeln kann, das müssen wir als Gesellschaft zusammen tun. Leider versuchen wir das noch nicht. Diejenigen, die für mehr Klimaschutz eintreten, werden stattdessen so dargestellt, als wollten wir die Menschheit zurück auf die Bäume schicken. Das will doch niemand! Aber tatsächlich fehlt uns noch die konkrete attraktive Vision, die wir quasi auf den Tisch legen und sagen können: Das ist es, was wir wollen

Im letzten Sachstandsberichts des Weltklimarates, wo Sie auch Leitautorin sind, geht es doch auch um Forschung dazu, wie sich Gesellschaften verändern können.
Ja, aber diese Überlegungen sind relativ technisch und betreffen planerische Ebenen, wie man Städte umbauen kann und Ähnliches. Es fehlt noch ein kultureller, symbolischer Überbau. So wie Werbeagenturen „saubere Kohle“ und anderen Blödsinn erfunden haben, der uns in diesem fossilen Narrativ verharren lässt, brauchen wir etwas, was die Transformation erstrebenswert und cool und toll macht, und nicht nur praktisch und vernünftig.
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ ... 33453.html
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(Oscar Wilde)
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Gruß
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2. Verein: bin ich dualfan?

Re: Klimaphysikerin Friederike Otto im Gespräch

Beitrag von jeck3108 »

Die Dame hat meiner Meinung nach genau den Punkt, weshalb man jetzt 50 Jahre vergeudet hat.
Wenn es nicht gelingt, eine positive gesellschaftliche Zukunftsvision auf die Beine zu stellen, dann kann man das knicken.

Meine politische Sozialisation fiel ja ziemlich zusammen mit der Gründung der Grünen in der BRD, die ja als wesentlichen Punkt die nachhaltigen Umgang mit "Natur" in den verschiedenen Facetten hatten.
Und immer ging es nur um Verzicht, nicht um Änderung zum Besseren hin.
Denn das, was mir da als Verbesserung angeboten wurde, war nur, das ich Verzicht aus Vernunft und Verantwortungsgefühl positiv sehen soll.

Und da ist dann auch mein Zweifel an den Äusserungen der Dame, der Technik-Skeptizismus.
Das sich die Zukunft nicht allein durch technischen Fortschritt nachhaltig gestalten lässt, klar. Aber der ist trotzdem der Kern, nur die Nutzung und zu wessen Nutzen, das müsste sich ändern.

Und so kommt bei mir die Dame auch wieder ziemlich "ungebumst" rüber.
Das kommt bei mir immer an wie die Anti-Alkoholiker, die mir erzählen, man kann doch auch Spass haben ohne Alkohol.
Stimmt, aber die Mahner sind keine überzeugenden Beispiele.